Zuwanderung und niedrige Zinsen haben die Nachfrage nach Wohnimmobilien in den deutschen Großstädten stark beflügelt. Eines der wichtigsten Kriterien beim Immobilienerwerb droht in der momentanen Boomphase fast aus dem Blick zu geraten: die Lage. Zu Unrecht …
Mehrere zehn Millionen Dollar ist er New Yorks Wohnungskäufern wert: der Blick auf den Central Park. Etliche der exklusivsten Appartementhäuser befinden sich hier, an der grünen Lunge Manhattans. Was Kaufinteressenten mitunter erschreckt, macht Verkäufer in der momentanen Marktphase besonders glücklich: Auch beim Wiederverkauf erzielen Immobilien mit Parkblick Höchstpreise. Und ihre Anbieter machen kräftig Gewinn. So erst jüngst Musiker Sting, der seine Wohnung im Luxustempel 15 Central Park West an den Mann brachte. 27 Millionen Dollar hatten der britische Superstar und seine Frau Trudie Styler für das 500 Quadratmeter große Appartement 2008 auf den Tisch gelegt. Verkaufspreis nun: 51 Millionen Dollar. Von solchen Renditen können Profianleger heute in den meisten Regionen der Welt nur träumen. Doch Immobilienamateur Sting hat alles richtig gemacht. Vor allem vertraute er auf eines: die Qualität der Lage.
„Attraktive Plätze, Grünflächen und Ausblicke beeinflussen den Wert von Wohnimmobilien immer positiv, gerade in Großstädten“, sagt der Immobilienmarktspezialist Stephan Halling, Leiter Bewertung und Consulting bei der UniCredit Bank AG. Das gelte auch für deutsche Städte. In München etwa gehöre der Englische Garten und der Blick auf die Alpen dazu, in und rund um Frankfurt am Main die vielen Parks sowie der Blick auf den Taunus oder die Skyline. Gerade das Spannungsfeld zwischen Urbanität und Natur machen den Reiz dieser Lagen und ihre Beliebtheit bei Wohnungsuchenden aus. Man lebt städtisch und hat gleichzeitig Erholungsräume direkt vor der Türe – oder umgekehrt. Ein im Grunde paradoxer Wohnwunsch, den der deutsche Schriftsteller und Satiriker Kurt Tucholsky in seinem Gedicht „Ideal“ schon 1927 treffend skizzierte: „Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße; mit schöner Aussicht, ländlich-mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn.“ Das Paradox scheint universell zu sein, wie das Beispiel Central Park zeigt.
Hellsichtig spricht der Dichter einen weiteren Lagefaktor an, den auch Analyst Halling bis heute eine sichere Bank für die nachhaltige Wertentwicklung von Wohnimmobilien nennt: die Nähe zum Wasser. Viele Städte wie Berlin oder Frankfurt hätten in den vergangenen Jahren ihre Wasserlagen erst entdeckt, brachliegende Areale an Flüssen und Seen entwickelt, bestehende Bebauung optimiert. Wohnungen mit Main- oder Rhein-, Mosel- oder Spreeblick sind bei den Nutzern beliebt und begehrt und haben kaum Leerstand oder sinkende Preise zu befürchten. Auch Hamburgs Alsterlagen zählen seit jeher zu den feinsten Adressen der Stadt. „Das Preisniveau in diesen Spitzenlagen ist zwar hoch, die Rendite eher bescheiden. Wegen der geringen Volatilität ist das Kapital aber gut angelegt“, so der Analyst.
Etwas verhaltener fällt Hallings Urteil in Bezug auf „gemachte Wasserlagen“ aus. Zwar habe sich die Hafencity Hamburg zu einem urbanen Quartier mit hochpreisigem Wohnungsbau entwickelt. Aber nicht überall könne das Zugpferd Wasser andere Standortmakel ausgleichen. Als Beispiele nennt der Analyst den Innenhafen Duisburg oder auch den Dortmunder Phoenix-See. Beide Gewässer wurden wie die Hafencity Hamburg im Zuge von Stadtumbaumaßnahmen künstlich angelegt und zu gemischt genutzten Quartieren ausgebaut. „Ob diese Lagen auf lange Sicht nachhaltig sind und die dort entstandenen Immobilien eine positive Wertentwicklung erwarten können, wird sich erst in Zukunft zeigen“, sagt der Experte.
Seit Jahren steigen die Preise für Eigentumswohnungen in den guten Lagen deutscher Großstädte stetig an. Die Infografik zeigt, wie stark der Anstieg seit 2015 jeweils ausfiel – und wie hoch die Schwerpunktpreise pro Quadratmeter im Januar des jeweiligen Jahres lagen.
Quelle: HypoVereinsbank
Stephan Halling weist auf weitere, entscheidende Faktoren hin, die Immobilieninvestoren bei der Beurteilung von Anlageobjekten im Blick haben sollten: „Ein schöner Wasser- oder Parkblick genügt nicht, wenn das wirtschaftliche und demografische Umfeld schwierig ist.“ Makroökonomische Rahmenbedingungen wie künftiges Wirtschaftswachstum, Arbeitsmarkt und Kaufkraft beeinflussen die Wertentwicklung von Immobilien ebenfalls und sollten daher vor einem Engagement in Augenschein genommen werden. Gleiches gilt für Bevölkerungsentwicklung, Sozialstruktur und Kriminalität. Schrumpfende Städte und problembehaftete Regionen werden mit rückläufiger Nachfrage und sinkenden Immobilienpreisen rechnen müssen. Denn auch die Infrastruktur wie Schulen, Kindergärten, Sportvereine, Einkaufsmöglichkeiten und ÖPNV-Verbindungen schrumpft zwangsläufig mit, was sich auf die Preisentwicklung negativ auswirkt.
Fundierte Analysen, wie sie die Marktberichte der HVB auf ihren Webseiten liefern, können da eine gute Hilfestellung leisten. Denn viele Trendveränderungen sieht man den Lagen im Stadtbild vielleicht heute noch gar nicht an, den Zahlen aber schon. „Umgekehrt werden sich Standorte, die infrastrukturell besonders gut aufgestellt sind, als besonders werthaltig erweisen. Angesehene Sportvereine, internationale Schulen oder Wochenmärkte mit Bio-Produkten werten Wohnlagen heute in jedem Fall auf“, berichtet Marktexperte Halling weiter. Bekannte Kultureinrichtungen, spektakuläre Bauwerke oder überregional bedeutsame Events sollten bei der Lagepotenzialanalyse ebenfalls berücksichtigt werden.
Gleichzeitig rät der Experte dazu, zwischen „traditionellen“ und „hippen“ Lagen zu unterscheiden. Wohnlagen rund um das Berliner Schloss Charlottenburg galten schon vor über 100 Jahren als gehoben. Aktuell angesagte Lagen in Kreuzberg, Friedrichshain oder Wedding dagegen nicht. „Investoren müssen in Szenevierteln mit größeren Preis- und Wertschwankungen rechnen und das Investment besonders hier vom Exit her denken“, so Halling. Nicht jede hippe Lage habe das Zeug zum Klassiker. Fehleinschätzungen können finanzielle Einbußen zur Folge haben , wenn eine Annahme doch nicht eintrifft. Auf der anderen Seite bringt ein Wagnis bei einem positiven Verlauf des Strukturwandels - etwa einer Straße oder eines Viertels – auch eine höhere Rendite. „Das ist eine Frage des jeweiligen Chancen-Risiko-Profils des Immobilieninvestors “, so Halling.
Zur Gretchenfrage bei Wohnungsneu- oder -umbauten entpuppt sich mehr und mehr das Thema Mobilität. Das Gütesiegel „gute“ oder „sehr gute Lage“ bekommen nicht mehr nur Standorte, die gut an das regionale und überregionale Straßenverkehrsnetz angebunden sind. Die Erreichbarkeit über den ÖPNV gewinnt – vor allem in den Großstädten – zunehmend an Bedeutung. „Immer mehr autofreie Quartiere werden geplant und individuelle Mobilitätswünsche über Car Sharing-Stationen abgedeckt. Hier findet ein Trendwechsel statt, den Anleger auf dem Radar haben sollten“, hebt Halling hervor. „Bei hochwertigen Eigentumsobjekten gehört die Elektroladestation in der Tiefgarage inzwischen zum guten Ton.“
Die veränderte Nutzung der Verkehrsträger bedeutet nicht, dass die Menschen weniger mobil sind. Im Gegenteil: Sie organisieren ihre beruflich oder privatbedingten Standortwechsel nur anders. Ein Umstand, von dem insbesondere die Speckgürtel und Nachbarstädte deutscher Metropolen profitieren. Mit dem Zug gelten etwa Entfernungen zwischen München und Augsburg, Frankfurt am Main und Mannheim oder Berlin und Wolfsburg inzwischen als zumutbare Pendlerentfernungen. In der A-Stadt arbeiten, in der gut angeschlossenen B-Stadt wohnen – das ist ein Modell, das Schule macht und B-Standorte in Metropolen-Umkreis aufwertet.
„Durch den sogenannten Kaskaden-Effekt geraten bisher weniger beachtete Standorte in den Blick von Wohnungssuchenden und Investoren“, sagt Halling. Die Preise spiegeln diesen Trend bereits wider. „Etliche dieser B-Standorte weisen derzeit eine dynamischere Preisentwicklung bei den Mieten und Kaufpreisen auf als ihre großen Nachbarn mit dem A-Label.“ Auch für Investoren mit Fokus auf Handelsimmobilien, Hotels oder Büros spielen Lagekriterien eine wichtige Rolle. Allerdings gelten viele Einflussfaktoren nicht oder weniger stark. Dies gilt vor allem für Umgebungsfaktoren wie Grünflächen oder Gewässer. Von zentraler Bedeutung für alle Assetklassen ist hingegen die Erreichbarkeit – mit und ohne Auto.
Zuletzt geändert 2018