Zum zwölften Mal hat der Industrieversicherer Allianz Global Corporate & Speciality (AGCS) gemeinsam mit anderen Allianz-Gesellschaften Unternehmen, Risikoberater:innen, Makler:innen und Schadenexpert:innen um ihre Einschätzung der Risikolage gebeten. Mehr als 2.700 Befragte aus 94 Ländern lieferten ein umfassendes Bild der wichtigsten Risikofaktoren für das Jahr 2023.
Die Welt, so scheint es, steckt in der Dauerkrise. Kaum hatten Pandemie und stockende Lieferketten ihren Schrecken für die Wirtschaft verloren, traten mit dem Ukraine-Krieg neue Sorgen in den Vordergrund, vom menschlichen Leid einmal ganz zu schweigen. Fragen nach der politischen Stabilität, nach Energiesicherheit und den Folgen der galoppierenden Inflation gewannen an Bedeutung. „Die Unternehmen – vor allem in Europa und den USA – machen sich Sorgen über die anhaltende ‚Permakrise‘, die aus den Nachwehen der Pandemie und den wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen des anhaltenden Krieges in der Ukraine resultiert“, erläutert Joachim Müller, Vorstandschef (Chief Executive Officer) von AGCS, und fügt hinzu: „Die aktuelle Lage ist ein Stresstest für jedes Unternehmen."1
Das aktuelle Allianz Risk Barometer listet wesentliche Stressfaktoren auf, die das Jahr 2023 prägen dürften. Cyberangriffe und stillstehende Produktionsanlagen bereiten demnach den Unternehmen weiterhin die meisten Sorgen. Jeweils 34 Prozent der weltweit Befragten sahen hier die größten Gefahren für den Geschäftsbetrieb. Im Vorjahr hatte der Anteil noch bei über 40 Prozent gelegen. Joachim Müller wertet das als positives Indiz für mehr Resilienz und Risikomanagement: „Viele Unternehmen haben ihre Lieferketten robuster gemacht, sind besser gewappnet gegen Unterbrechungen ihres Geschäftsbetriebs und haben ihre Cyberkontrollen ausgebaut.“
Dennoch geht das Allianz Cyber Center of Competence davon aus, dass die Zahl von erpresserischen Ransomware-Angriffen 2023 hoch bleiben wird. Hinzu kommt, dass die durchschnittliche Datenpanne mit 4,35 Millionen US-Dollar so teuer ist wie nie zuvor. In diesem Jahr könnten die Kosten sogar die Marke von fünf Millionen US-Dollar überschreiten.1 Bei diesem Szenario sind der Ukraine-Krieg und andere geopolitische Spannungen mit einberechnet, die das Risiko eines groß angelegten Cyberangriffs durch staatlich geförderte Akteure erhöhen. Das Allianz Cyber Center of Competence weist zudem auf den zunehmenden Mangel an Fachkräften hin, die notwendig wären, um die Cybersicherheit zu verbessern. Während große Unternehmen als Zielscheibe ihre Cybersicherheit verbessert haben, rücken immer mehr kleine und mittlere Unternehmen, die ihre Gefährdung eher unterschätzen, ins Visier von Hacker:innen.1
Eng verbunden mit Cyberrisiken ist die Gefahr von Betriebsunterbrechungen. Angriffe von Hacker:innen sind die von den Unternehmen am meisten gefürchtete Ursache für stillstehende Produktionsanlagen (45 Prozent der Antworten), gefolgt von Energieengpässen (35 Prozent) und Naturkatastrophen (31 Prozent).1
War schon die Pandemie ein massiver Schock für die Geschäftsmodelle vieler Unternehmen, die weltweite Engpässe, Lieferverzögerungen und höhere Preise zur Folge hatte, löste der Krieg in der Ukraine zusätzlich eine Energiekrise aus, besonders in Europa. Sie schaffte es als Neueinstieg im Risk Barometer mit 22 Prozent der Nennungen auf Anhieb auf Platz 4.
Branchen wie die Chemie-, Düngemittel-, Glas- und Aluminiumherstellung in Europa hängen stark am Gas und sind daher anfällig für Lieferengpässe oder Preissteigerungen, wie sich nach dem Embargo des russischen Gases zeigte. Rasch können sich die Probleme dieser Basisindustrien auf die nachgelagerten Sektoren der Wertschöpfungskette ausbreiten. Laut Allianz Trade stellt die Energiekrise zudem den größten Rentabilitätsschock für europäische Unternehmen dar.
Die sprunghaft gestiegenen Kosten haben vor allem energieintensive Betriebe gezwungen, Energie effizienter zu nutzen, ihre Fertigung an andere Standorte zu verlagern oder sogar die Produktion vorübergehend stillzulegen. Die daraus resultierenden Engpässe könnten zu Versorgungsunterbrechungen in einer Reihe kritischer Branchen in Europa führen, etwa in den Bereichen Lebensmittel, Landwirtschaft, Chemie, Pharmazie, Bauwesen und verarbeitendes Gewerbe, merkt AGCS dazu an. Auch im Zuge einer weltweiten Rezession drohen durch die wachsende Zahl von Betriebsinsolvenzen Lieferantenausfälle. Allianz Trade erwartet, dass Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2023 um 19 Prozent zunehmen.1
Neben Cyberangriffen, Betriebsunterbrechungen und Energiekrise haben makroökonomische Entwicklungen wie Inflation oder Schwankungen an den Wirtschafts- und Finanzmärkten in der Risikowahrnehmung ebenfalls hohe Priorität und rangieren mit 25 Prozent der Antworten als drittwichtigstes Risiko weltweit (Vorjahr: Platz 10). Es ist das erste Mal seit einem Jahrzehnt, dass dieses Risiko in die Top 3 aufgestiegen ist.1 Alle drei bedeutenden Wirtschaftsräume USA, Europa und China befänden sich im Krisenmodus, urteilt das Team von Allianz Research.
Neu unter den Top 10 finden sich politische Risiken, was angesichts der Situation in der Ukraine wenig verwunderlich ist. Im Vorjahr belegte diese Kategorie noch Platz 13. Darunter fallen neben Krieg auch Terrorismus, Plünderungen, zivile Ausschreitungen oder Streiks. Nach Ansicht der AGCS haben die vergangenen Jahre gezeigt, welch enorme Auswirkungen koordinierte gewaltsame Unruhen auf Wirtschaft und Politik haben können und nennt als Beispiele die Black-Lives-Matter-Proteste in den USA oder die Zuma-Krawalle in Südafrika 2021. In diesem Jahr könnten die steigenden Lebenshaltungskosten den sozialen Frieden gefährden.
1: Quelle Allianz Risk Barometer 2023
Änderungen in der Gesetzgebung und regulatorische Veränderungen bleiben auf Platz 5 ein relevantes Risiko. Verantwortlich dafür sind unter anderem die zunehmenden Anforderungen an die Unternehmensberichterstattung und an Compliance-Maßnahmen im Bereich Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG). Als Hürden erweisen sich laut AGCS das Fehlen einheitlicher Standards sowie ein Mangel an internem Fachwissen hinsichtlich der ESG-Anforderungen.
Naturkatastrophen (19 Prozent) und der Klimawandel (17 Prozent) bereiten den Unternehmen weiterhin Sorgen, auch wenn sie von Platz 3 auf 6 (Naturkatastrophen) und von Platz 6 auf 7 (Klimawandel) in der Risiko-Rangliste zurückgefallen sind. Das liegt weniger daran, dass die Schäden aus Naturkatastrophen wie Hurrikan Ian, Hitzewellen oder Überschwemmungen rückläufig waren. Viele Unternehmen räumen einfach anderen Entwicklungen in der Risikolandschaft wie wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheiten eine höhere Priorität ein. Wie schon 2021 summierten sich die weltweit versicherten Katastrophenschäden nach Angaben des Rückversicherers Swiss Re auf mehr als 100 Milliarden Dollar und lagen mit geschätzt 115 Milliarden Dollar weit über dem Zehnjahres-Durchschnitt von 81 Milliarden US-Dollar.2
Bemerkenswert ist, dass sich die vier größten Risiken des Allianz Risk Barometers 2023 über alle Firmengrößen hinweg – große, mittlere und kleine Unternehmen – sowie in den europäischen Kernländern und in den USA (mit Ausnahme der Energiekrise) weitgehend gleichen. Zu Abweichungen kommt es hingegen im asiatisch-pazifischen Raum und in afrikanischen Ländern, was laut AGCS auf die dort unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs zurückzuführen ist.
Auch wenn 2023 viele Unternehmen vor einem schwierigen Jahr stehen, beurteilt die AGCS die mittelfristigen Aussichten sehr viel positiver. Die Energiekrise zwinge die Wirtschaft zu einer Transformation in Richtung Dekarbonisierung und fördere das Risikobewusstsein in allen Teilen der Gesellschaft, was langfristig die Widerstandskraft der Wirtschaft gegenüber externen Schocks verbessere.
2: Quelle Swiss Re
Die meisten Antworten im Allianz Risk Barometer stammen von Großunternehmen mit mehr als 500 Millionen Dollar Jahresumsatz, kleine (weniger als 250 Millionen Dollar) und mittelgroße Firmen (250 bis 500 Millionen Dollar) stellen zusammen ebenfalls die Hälfte aller Antworten. Während Betriebsunterbrechungen (einschließlich Unterbrechung der Lieferkette) bei mittelgroßen Unternehmen nach wie vor das größte Risiko darstellen, fürchten kleine Unternehmen vor allem Cyber-Attacken.
Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) hat sich die Cyber-Risikolandschaft seit Covid-19 erheblich verändert. Viele mussten rasch reagieren und ihr Geschäft digitalisieren, wobei die Entwicklung der IT-Sicherheit nicht immer Schritt hielt. Viele kleinere Unternehmen unterliegen zudem dem Irrglauben, weniger Cyberangriffen ausgesetzt zu sein. Doch weil die großen Firmen ihre Investitionen in IT-Sicherheit erhöht haben, sei das Gegenteil der Fall, warnt die AGCS. Kleine Firmen seien besonders anfällig für Angriffe auf die Lieferkette, und wer dieses Risiko nicht ausreichend manage, laufe Gefahr, langfristig nicht zu überleben. Deshalb ist es wichtig, die Risiken besser zu verstehen, in Cybersicherheit zu investieren, das Bewusstsein der Mitarbeiter zu schärfen und Notfallpläne zu entwickeln.
Energiekrise und makroökonomische Entwicklungen sind auch bei den KMU auf der Liste der größten Risiken nach oben gerutscht. Inflationsdruck, die Straffung der Geldpolitik, steigende Kosten für Energie und Personalknappheit wirken sich negativ auf den Cashflow vieler Unternehmen aus, die immer noch an den wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie zu tragen haben. Die Hälfte der analysierten Länder verzeichnete im ersten Halbjahr 2022 zudem zweistellige Zuwächse bei den Unternehmensinsolvenzen.3 Die Aussichten für 2023 sind nicht besser.
3: Quelle Allianz Risk Barometer 2023
Ergebnisse des Allianz Risk Barometers nach Ländern, Branchen und Unternehmensgrößen (Englisch) – ZU DEN ERGEBNISSEN 3
3: Quelle Allianz Risk Barometer 2023
Quelle: Allianz Risk Barometer 2023, Appendix
Stillstehende Produktionsanlagen bereiten den Unternehmen in Deutschland weiterhin die meisten Sorgen. 46 Prozent der Befragten erkannten darin das größte Risiko für ihr Unternehmen, deutlich mehr als in der globalen Erhebung des Allianz Risk Barometers, wo es mit 34 Prozent Nennungen an zweiter Stelle liegt. Laut den Wirtschaftsforscher:innen vom ifo-Institut hat die überwiegende Mehrheit der deutschen Unternehmen seit der Corona-Pandemie ihre Lieferketten angepasst.4 „Wir beobachten unterschiedliche Strategien bei kleinen und großen Firmen. Großunternehmen haben mehr Maßnahmen infolge von Lieferkettenstörungen ergriffen als kleine und mittlere Unternehmen. Zudem haben Großunternehmen ihre Zuliefererstrukturen diversifiziert und überwachen ihre Lieferketten stärker. Kleine und mittlere Unternehmen setzten dagegen eher auf eine verstärkte Lagerhaltung“, erläutert ifo-Forscher Andreas Baur.
4: Quelle ifo Institut
Mit 40 (Vorjahr: 50) Prozent der Nennungen schafften es Cybervorfälle im Allianz Risk Barometer für Deutschland erneut auf den zweiten Platz. Der deutschen Wirtschaft entsteht laut Digitalverband Bitkom ein jährlicher Schaden von rund 203 Milliarden Euro durch Diebstahl von Daten und IT-Ausrüstung, durch Spionage und Sabotage.5 In den Jahren 2018/2019 waren es erst 103 Milliarden Euro. Praktisch kein Unternehmen in Deutschland ist dagegen gefeit. Dabei sind die Angriffe aus Russland und China zuletzt sprunghaft angestiegen, und die Angreifer gehen immer professioneller vor.
5: Quelle Bitkom
Vor dem Ukraine-Krieg war Deutschland gemessen am inländischen Gasverbrauch zu 49 Prozent von russischen Importen abhängig und damit so stark wie kein anderes großes Land in Europa.6 Fast ein Drittel der befragten Unternehmen erkannte darin für sich ein großes Risiko, was der Energiekrise in Deutschland den dritten Rang (global Platz 4) bescherte. Die Bundesnetzagentur bewertete Ende Januar 2023 die Versorgungslage als weniger angespannt als zu Beginn des Winters, wollte eine Verschlechterung der Situation aber nicht ausschließen. Unternehmen und private Verbraucher:innen müssen sich daher auf weiter schwankende und deutlich höhere Preise einstellen.7
6: Quelle Statista
7: Quelle Bundesnetzagentur
Neben der Energiekrise schafften es zwei weitere Risiken neu in die deutschen Top 10: Der Mangel an Fachkräften (Platz 7) sowie der Ausfall kritischer Infrastruktur wie beispielsweise Stromausfälle (Platz 9).
Zwar besteht nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums in Deutschland derzeit kein flächendeckender Fachkräftemangel. In bestimmten Regionen und Bereichen wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) und im Gesundheitsbereich könnten offene Stellen aber immer öfter nicht qualifiziert besetzt werden.8
Abgerutscht im deutschen Ranking von Platz 3 auf 5 ist die Gefahr von Naturkatastrophen und von Platz 4 auf 8 der Klimawandel.
Dagegen war die Sorge vor makroökonomischen Entwicklungen wie Inflation, geldpolitischen Maßnahmen oder Sparprogrammen deutlich weiter verbreitet als noch im Vorjahr (Platz 6 nach Platz 10).
8: Quelle bmwk
Wichtige Links und Downloads:
Allianz Risk Barometer 2023 (english)
Pressemitteilung Allianz Risk Barometer 2023 (Deutsch)
Ergebnisse des Allianz Risk Barometers nach Ländern, Branchen und Unternehmensgrößen (Englisch) – Zu den ergebnissen
Viele Unternehmen verfahren nach dem Prinzip, ein Geschäftsrisiko gar nicht erst einzugehen oder es zu ignorieren. Beides ist gefährlich. Denn wer jedes Risiko scheut, kann Chancen verpassen. Und wer Risiken nicht sehen will, gefährdet seinen Geschäftsbetrieb. Dabei gibt es Möglichkeiten, mit Risiken aktiv umzugehen. Der professionelle Umgang erfordert eine sorgfältige Analyse, eine nüchterne Einschätzung und eine genaue Abwägung der Vor- und Nachteile. Das Competence-Center der HypoVereinsbank kann hier wertvolle Unterstützung leisten.
Im Competence Center erstellen hochqualifizierte Corporate Analysts an sechs regionalen Standorten strategische Analysen für unsere Kundschaft. Wir verstehen uns als Beraterinnen und Berater, die mittelständische Firmen im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtung, die über das bankentypische Thema Finanzierung hinausreicht, analysiert. Es geht also vor allem um Fragen der Unternehmensführung und der Risikobewertung.
Das Competence Center besteht aus rund 20 Unternehmensexperteninnen und -experten, die über ganz Deutschland verteilt sind. Als Betriebswirt:innen sind sie mit den typischen Themen vertraut, die mittelständische Unternehmen bewegen: Wer wird die Firma eines Tages übernehmen, soll ich eher organisches oder anorganisches Wachstum anstreben und wie kann ich meine Geschäftsprozesse optimieren.
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