Halbzeitbilanz: trotzen die Märkte weiter den Zollrisiken? +++ 2026: Wo stehen wir zum Jahreswechsel?
Helen Windischbauer:
Wenn sich der Nebel und der Staub gesetzt hat im Verlauf des Jahres, wovon wir ausgehen, denke ich durchaus, dass wir auf ein positives Kapitalmarktjahr zurückblicken können. Bis dahin kann immer wieder Unsicherheit entstehen, denn rein aus handelspolitischer Sicht ist noch nicht alles ausgemacht, aber wir bewegen uns langsam dahin, dass wir mehr Klarheit bekommen.
Philip Gisdakis:
Zusammenfassend eben für dieses Jahr volatil aber am Ende des Jahres wahrscheinlich mit einem versöhnlichen positiven Abschluss. Der Markt hat schon mit Zöllen auf Kupferimporten gerechnet, aber nicht mit derartig hohen. Viel Sinn steckt da aus meiner Sicht heraus nicht drinnen, denn es wird Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte dauern, bis die USA in der Lage ist, so viel Kupfer zu produzieren wie sie das derzeit braucht und ob das ökonomisch sinnvoll ist, das selbst zu tun, das sei dahingestellt.
Titus Kroder:
Hallo und herzlich Willkommen. Das Team Markt-Briefing meldet sich mit einer neuen Ausgabe und zwar einmal mehr mit einem tiefgehenden analytischen Blick auf die Finanzmärkte. Nach wie vor müssen Investoren nämlich ein ebenso kurzatmiges wie breites Spektrum an marktbewegenden Nachrichten in sinnvolle Anlageentscheidungen übersetzen. Und damit das noch besser gelingt, heute also ein Kapitalmarkt-Spezial wie wir es in so bewegten Zeiten immer mal wieder gemacht haben und weiter machen werden. Damit Sie unsere Podcast-Episoden künftig auch lückenlos nutzen können, hier unser Tipp. Wenn Sie das HVB Markt-Briefing auf der Podcast-Plattform Ihrer Wahl jeweils kostenfrei abonnieren, versäumen Sie keine Ausgabe mehr.
Tja, noch selten war die Börse so extrem politisch getrieben wie derzeit. Rede und Antwort zu diesem Thema steht uns heute Helene Windischbauer, Head of Multi-Asset Solutions des Vermögensverwalters Amundi Deutschland. Sie ist Betriebs- und Volkswirtin, eine sehr erfahrene Portfolio-Managerin und erstmals mit dabei im Markt-Briefing.
Hallo Helene, herzlich willkommen.
Helen Windischbauer: Hallo, ich freue mich sehr heute dabei zu sein.
Titus Kroder:
Unser Co-Experte ist Philipp Gisdakis, als Chief Investment Officer der HypoVereinsbank, häufig mit dabei im Mark-Briefing, auch er ein Fachmann zu praktisch allen komplexen Finanzmarktthemen. Hallo Philipp.
Philip Gisdakis:
Hallo Titus, hallo Helene, ich grüße euch heute aus Würzburg.
Titus Kroder:
Man muss sich ja derzeit fast schon täglich neu orientieren, wo wir eigentlich stehen am Finanzmarkt. Die Zölle kommen und gehen, Multimilliarden-Sondervermögen werden geschöpft und wieder ausgegeben. Es wird über neue Notenbankpräsidenten spekuliert militärische Konflikte schwelen oder eskalieren. Das neue Normal, das hatten wir ja bereits im letzten Podcast bilanziert, das ist eben, dass nichts mehr normal ist und so ziemlich alles unsicher geworden ist. Nehmen wir uns aber doch mal kurz die Zeit, um das erste Halbjahr 2025 insgesamt zu bewerten in diesem beispiellosen Wirbelwind an Nachrichten und Marktimpulsen. Philipp, wie lautet dein Urteil über die ersten sechs Monate dieses Börsenjahres?
Philip Gisdakis:
Ja Titus, es war wirklich sehr, sehr viel los und es war zuletzt so viel los, dass man so ein bisschen vielleicht auch vergisst, was am Anfang des Jahres alles gewesen ist. Denn die Erwartungen zu Beginn des Jahres waren ziemlich anders, als sich das jetzt aktuell darstellt. Wir erinnern uns noch, wir sind in das Jahr gestartet mit einem ziemlich starken sogenannten Trump-Trade, starker US-Dollar. Starke amerikanische Aktienmärkte und eine sehr robuste Erwartung bezüglich der amerikanischen Konjunktur. Nachfragegetriebene Inflationssorgen waren da sogar noch mit dabei. Und das führte dazu, dass der amerikanische Aktienmarkt bis Mitte Februar sehr stark war, sowohl für Euro-denominierte Anleger als auch global der amerikanische Aktienmarkt Mitte Februar einen All-Time-High erreicht hat. Dann kam der Zollhammer von Donald Trump, der ja dann am Liberation Day Anfang April veröffentlicht wurde. 2. April. Und da ging es dann auch schon davor ordentlich nach unten und wir haben eine Entwicklung gesehen, die in den USA dazu geführt haben, dass die globalen Anleger Zweifel hatten sozusagen am sicheren Hafen in den USA. Die US-Aktien sind gesunken, der Dollar hat sich deutlich abgeschwächt, die Renditen in den USA sind gestiegen. Also das heißt, alle Assets in den USA haben mehr oder weniger verloren. Das hat dann zugeführt, dass wenige Tage nach dem Liberation Day der amerikanische Präsident eine Auszeit, sozusagen ein Verschieben dieser sogenannten reziproken Zölle, die am Liberation Day verkündet wurden, eben ankündigen musste. Und das hat dann für eine gewisse Beruhigung gesorgt Und dann kam, sage ich mal, in den Frühsommer hinein eben dieser militärische Konflikt zwischen Israel und dem Iran, in den dann auch die USA eingegriffen haben, wo es dann relativ viel Volatilität am Ölmarkt gegeben hat.
Wenn man sich das gesamte erste halbe Jahr anschaut, dann sieht man aktuell, dass die Aktienmärkte auch in den USA wieder ins positive gedreht haben, aber im positiven nur in ihrer Heimatwährung nämlich im US-Dollar sind. Aus der Perspektive von Euro-Anlegern sind amerikanische Aktien zum Teil noch deutlich im Minus, weil eben der US-Dollar sich so deutlich, sich abgeschwächt hat Also, es war ein sehr, sehr bewegtes erstes Halbjahr mit einer insgesamt sehr, sehr scharfen US-Dollar-Abschwächung die viele Portfolios ein bisschen durcheinandergewürfelt hat.
Titus Kroder:
Auf die US-Aktien kommen wir hier noch zu sprechen. Helene, fragen wir aber dich gleich etwas, was wir meistens zum Ende des Podcasts eigentlich immer fragen, nämlich wie geht es weiter?
Wo steht deiner Meinung nach der Aktienmarkt zur Jahreswende? Und vielleicht habt ihr bei Amundi ja sogar schon realistische Szenarien für den Einstieg in das nächste Jahr 2026. Was sieht da dein Expertinnenblick nach vorne gerichtet?
Helen Windischbauer:
Ja, also zunächst kann man schon sagen, dass es an den Märkten, Kapitalmärkten insgesamt volatil bleiben wird in diesem Jahr. Allerdings, wenn sich der Nebel und der Staub gesetzt hat im Verlauf des Jahres, wovon wir ausgehen, denke ich durchaus, dass wir auf ein positives Kapitalmarktjahr zurückblicken können. Bis dahin kann immer wieder Unsicherheit entstehen, denn Philipp hat es ja auch schon angesprochen, rein aus handelspolitischer Sicht, US-Zoll-Sicht ist noch nicht alles ausgemacht, aber wir bewegen uns langsam dahin, dass wir mehr Klarheit bekommen. Diese Klarheit wird auch den Unternehmen im Verlauf des Jahres helfen. Lieferketten werden weiter umgebaut, Handelsströme werden umgelenkt und die Unternehmen werden sich darauf einstellen und uns unterstützen in ihren Gewinnerwartungen, in ihren Schätzungen auch im Verlauf des Jahres da mehr ‚Guidance‘ geben.
Insgesamt werden wir die Wachstumsverlangsamung gerade in den USA sehen, vor allem über einen schwächeren Konsumenten. Bislang beobachten wir, dass der Konsument auch verunsichert ist. Man kann es sehr deutlich an den Konsumentenumfragen in den USA ablesen. Auch die Inflationserwartung der US Konsumenten ist derzeit sehr hoch in den USA. Hier bleibt es spannend, was dann tatsächlich an Inflation zu sehen sein wird im Verlauf des Jahres und darüber werden wir wahrscheinlich später noch zu sprechen kommen, was auch die US-Zentralbank daraus machen wird. Ja, insgesamt zusammenfassend eben für dieses Jahr volatil, aber am Ende des Jahres wahrscheinlich mit einem versöhnlichen positiven Abschluss.
Titus Kroder:
Wenn wir das mal noch weiter geografisch unterbrechen: Europa ist ja schon seit einiger Zeit wieder mit den USA gleichgezogen als Anlageregion von einiger Attraktivität.
Welche Gegenden sind für dich als Portfolio-Managerin derzeit vielleicht auch außerhalb Europas noch interessant?
Helen Windischbauer:
Also, Europa ist derzeit auf jeden Fall in unseren Karten. Europa bleibt und ist strukturell spannend, denn gerade durch die Wachstums- und Schuldenprogramme, allen voran Deutschlands, werden wir hier noch einen Wachstumsimpuls sehen. Davon können die Unternehmen in Europa profitieren. Und übrigens, du hattest auch vorhin gefragt, Titus, nach dem Jahr 2026, das wird uns auch weiter ins Jahr 2026 tragen können. Insgesamt: Schwellenländer könnten auch von der Gemengelage gut profitieren, denn wenn der US-Dollar schwach bleiben wird und wir von Zinssenkungen der FED entweder in diesem Jahr oder im nächsten Jahr ausgehen, auch hier davon profitieren können.
Taktisch würde ich die USA nicht zur Seite schieben. USA ist durchaus spannend als Markt, auch im nächsten Jahr. Denn auch in den USA werden die Unternehmen von den ‚wunderbaren großen Plänen‘ des US-Präsidenten profitieren können und hier durchaus auch wieder interessante Möglichkeiten zur Anlage bieten.
Titus Kroder:
Aktuell nochmal weiter runtergebrochen, hört man ja immer wieder von Branchen wie etwa der Rüstung, die durch bestimmte politische Entscheidungen etwa auch in Deutschland in den Anlagefokus geraten. Wie sieht hier dein Überblick aus? Welche Branchen mit Potenzial sollte man sich als Anleger oder als Anlegerin derzeit genauer ansehen und warum?
Helen Windischbauer:
Wenn ich als Anlegerin oder Anleger mir ein Portfolio derzeit zusammenstelle, würde ich so vorgehen, dass ich mir überlege, welche großen Themen begleiten oder umrahmen mein Portfolio. Das ist zum einen das Thema Zölle. Also, hier tatsächlich Sektoren wählen, die wenig Schläge von den geplanten US-Zöllen abbekommen. Das bedeutet dann vor allem, inländische Unternehmen sich anzusehen, also Unternehmen, die sehr stark binnenmarktorientiert agieren oder auch Dienstleistungs-und finanzbezogene Leistungen anbieten für die Konsumenten. Allerdings auch Bereiche wie zum Beispiel Finanzwerte, denn wenn wir nachher in die Diskussion über den Anleihenmarkt einsteigen, können Finanzwerte noch sehr stark von einer Versteilerung der Zinsstrukturkurve profitieren. Das sehen wir derzeit noch. Das sind auf jeden Fall interessante Bereiche.
Ich würde auch tatsächlich ein paar Sicherheitspolster im Portfolio einbauen. Und das kann man über defensive Sektoren sehr gut machen oder auch über Dividendentitel im Portfolio, denn hier hat man so ein bisschen einen Risikoausgleich.
Titus Kroder:
Kommen wir zu den aktuellen Risiken für Anleger. Es gibt zuhauf Zölle, es gibt Zoff, es gibt Zerrüttung und zwar wirtschaftspolitisch und auch geopolitisch. Dürften das denn weiter die Überraschungsfaktoren sein, mit denen wir jeden Tag rechnen müssen? Philipp, was zählt an den Märkten derzeit zu den wichtigsten drei Risiken in der Vermögensanlage?
Philip Gisdakis:
Ja, Titus die Top-3-Risiken die ich sehe, sind zunächst mal geopolitische Risiken, was ja häufig so ein Sammelbegriff für militärische, kriegerische Auseinandersetzungen ist. Wir haben immer noch einen Krieg in Europa, in der Ukraine, der sich aktuell auch nicht so entwickelt, wie man sich das aus europäischer Perspektive wünschen würde. Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran ist ein bisschen im Hintergrund gerückt, aber schwelt nach wie vor. Also, das spielt eine große Rolle. Die Ölpreise waren relativ stabil diesbezüglich, aber das spielt noch eine Rolle.
Dann der zweite Risikofaktor ist die konjunkturelle und auch die fiskalische Entwicklung in den USA, die auf die Renditen in den USA, aber auch auf den Wechselkurs eine wichtige Auswirkung haben wird. Der US-Dollar ist ja zuletzt sehr schwach geworden, was durchaus auch nochmal zu Themen in Europa führen könnte.
Und dann haben wir eben, wie im April angefangen die Zollpolitik, die hier schon nochmal einen großen Risikofaktor darstellen kann. Hier heute zum Aufnahmezeitpunkt hören wir und lesen wir zum Beispiel, dass Donald Trump 50 Prozent Zoll auf Brasilien auferlegen will und mit der Begründung von brasilianischen internen politischen Angelegenheiten also wie mit dem früheren brasilianischen Präsidenten Bolsonaro umgegangen wird oder werden soll.
Also, das heißt, diese Themen spielen eine große Rolle immer noch an den Märkten und ich glaube auch, die werden weiterhin eine große Rolle an den Märkten spielen.
Titus Kroder:
Das heutige Aufnahmedatum ist der 10. Juli. Eine besondere Zollgeschichte hat sich in den letzten Tagen ja um den Rohstoff Kupfer entsponnen. Einen der wichtigsten Stoffe für die Energiewende und damit auch für die Weltwirtschaft. Hohe US-Importzölle könnte es da bald geben. Wie schätzt du das ein? Auch wieder so ein Nachrichtentorpedo von Trump aus dem Nichts mit dem keiner gerechnet hat, der sich aber doch massiv auswirken könnte. Was hältst du davon?
Philip Gisdakis:
Der Hintergrund dieser Geschichte ist, dass Donald Trump plant 50 Prozent Zölle auf Kupferimporte zu erheben. Der Markt hat schon mit Zöllen auf Kupferimporten gerechnet, aber nicht mit derartig hohen Zöllen. Und welche ökonomische Logik hinter Importzöllen der USA auf Kupfer sich da sozusagen entfalten soll, ist mir nicht so ganz klar. Der Kupfermarkt ist ein Markt, in dem insbesondere Schwellenländer sehr stark vertreten sind, allen voran Chile. Etwa 25 Prozent der Weltkupferproduktion kommt aus Chile. Kupfer wird umgekehrt häufig im offenen Tagebau abgebaut. Da gibt es eine sehr ikonische Kupfermine in der Atacama-Wüste in Chile, Chuquicamata. Ein Kilometer tief, vier Kilometer breit dieses Loch in der Erde. Das ist ein sehr energiereicher Ort. Warum die USA unbedingt Kupfer produzieren wollen, das man am Weltmarkt relativ günstig kaufen kann? Es ist auch noch sehr energieintensiv, das zu produzieren erschließt sich mir nicht so ganz. Diese Diskussion hat dazu geführt, dass die Kupferpreise in den USA deutlich angestiegen sind, 50 Prozent über dem Weltmarktpreis liegen. Da scheinen die Märkte noch ein bisschen zu erwarten, dass das vielleicht noch nicht das letzte Wort war.
Und was dazu führen kann, ist vermutlich, dass ein Teil der Kupferproduktion, die ursprünglich in die USA gehen sollte, jetzt in anderen Destinationen landet. Das würde den Kupferpreis in diesen anderen Ländern vermutlich reduzieren, während der in den USA steigt, also der Spread zwischen Kupfer in den USA und Kupfer woanders wird steigen. Und das macht natürlich insbesondere für amerikanische Produzenten, die Kupfer brauchen, Probleme. Und es könnte eben kurzfristig dazu führen, dass diese Produkte, die ursprünglich in den USA dann hergestellt werden, woanders hergestellt werden und dann in die USA wieder importiert werden. Es wäre also gar nicht so gut für die amerikanischen Hersteller. Deswegen verstehen wir das alles nicht so ganz. Und diese ganze Zollthematik, die wir hören, die verwirrt einen schon sehr. Ich habe da ein sehr interessantes Zitat in dem österreichischen ‚Der Standard‘ gelesen, die hatten nämlich eine wunderschöne Headline, die ungefähr so lautet, Präsident Trump hat mal wieder irgendetwas zu Zöllen gesagt. Mittlerweile ist die Schlagzeile auf diesem Artikel etwas anders, aber die ursprüngliche Schlagzeile lautete so und das fasst eigentlich sehr schön zusammen. Viel Sinn steckt da aus meiner Sicht heraus nicht drinnen, denn es wird Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte brauchen, bis die USA in der Lage ist, so viel Kupfer zu produzieren, wie sie das derzeit braucht und ob das ökonomisch sinnvoll ist, das selbst zu tun, das sei dahingestellt.
Titus Kroder:
Schauen wir uns die US-Aktienmärkte nochmal genauer an. Da gibt es ‘The One Big Beautiful Bill Act’. Das ist dieses neue Haushaltsgesetz der Regierung Trump, das auch gerne mit Triple B, also 3 mal B, abgekürzt wird. Inzwischen hat dieses in vielerlei Hinsicht historische Gesetz alle Hürden genommen. Helene, welche Auswirkungen auf die US-Aktien seht ihr bei Amundi von diesem Gesetz?
Helen Windischbauer:
Zunächst fand ich es schon sehr überraschend, dass die Aktienmärkte vor allem der US-Aktienmarkt, diese wunderbare Bill erst reichlich spät entdeckt hat. Zuerst haben es natürlich der Anleihenmarkt entdeckt, aber die Aktienmärkte haben es jetzt auch entdeckt. Und für mich ist ein bisschen so der Eindruck, als ob dieser Trump, den wir ja am Anfang des Jahres gut beobachten konnten, jetzt ein Stück weit zurückkommt. Denn gerade am Anfang des Jahres haben die Investoren darauf gesetzt, dass US-Unternehmen von einer neuen US-Regierung mit Steuersenkungen und Deregulierung profitieren können. Und jetzt erscheint es so, dass ein großes schuldenfinanziertes Wachstumsprogramm den amerikanischen Unternehmen unter die Arme greifen kann. Also, von dem her scheint es etwas optimistischer zuzugehen am US-Aktienmarkt. Und was wir auch nicht vergessen dürfen, der US-Aktienmarkt ist natürlich auch von einer sehr starken Konzentration von sechs bis sieben Mega-Unternehmen geprägt. Die können teilweise hiervon auch profitieren, sodass wir davon ausgehen, dass wir diese Mega-Seven nicht ganz zur Seite schieben, sondern auch hier selektiv vorangehen und selektiv die Unternehmen aussuchen und gleichzeitig aber auch auf den gleichgewichteten US-Aktienmarkt setzen. Denn unsere Einschätzung ist, dass viele Unternehmen, auch kleinere, mittlere Unternehmen en gros von diesem großen Schuldenprojekt profitieren können.
Titus Kroder:
Mit Mega 7 meinst du die großen amerikanischen Technologieunternehmen?
Helen Windischbauer:
Ja, genau. Den US-Anleihenmarkt, den hat Trump ja schon im Frühjahr bereits ziemlich durcheinandergewirbelt. Nun sorgt sein neues Haushaltsgesetz für eine astronomische Neuverschuldung der USA.
Titus Kroder:
Philippe ‚BBB‘ ist ja auch eine nicht ganz so exzellente Ratingeinstufung. Leidet die Kreditwürdigkeit der USA nun weiter unter diesem Gesetz? Und vor allem womit ist nun am Anleihenmarkt, am Bondmarkt zu rechnen?
Philip Gisdakis:
Die Staatsverschuldung dürfte in den USA in den nächsten Jahren deutlich ansteigen. Denn das, was an Steuererleichterungen und Ausgaben beschlossen wurde, wird bei weitem nicht durch Sparmaßnahmen gegenfinanziert. Wachstum, was aufgrund der Steuererleichterungen resultiert, dazu führen wird, dass die Steuereinnahmen in einem entsprechenden Maße sprudeln. Das ist wieder so eine andere Frage, ob das funktionieren wird. Also von daher, alleine aufgrund des Angebotsdrucks werden zumindest das lange Ende der Zinskurve in den USA vermutlich unter Druck bleiben.
Es hat allerdings natürlich auch nochmals damit zu tun, wie sich die Handelspolitik, die Zölle auf das Inflationsumfeld in den USA und damit dann auf die Notenbanken entsprechend auswirken. Ein ganz wichtiges Thema wurde jetzt zunächst einmal weggeräumt aus Sicht ausländischer Investoren. Wir haben darüber gesprochen, ich glaube der Andreas hat es in der vorletzten Ausgabe des Podcasts besprochen, die sogenannte ‚Section 899‘ des ‚One Big Beautiful Bills‘, das hätte der Regierung in den USA die Möglichkeit gegeben, zusätzliche Quellensteuern auf Bürger, Investoren aus Ländern, die ihnen nicht genehm sind, zu erheben. Das haben sie jetzt rausgenommen. Also das ist etwas, was nicht mehr belastend wirkt, aber auf der fiskalischen Trajektorie und der Finanzierungsbedarf des amerikanischen Finanzministeriums des US Treasuries massiv sein wird und das dürfte perspektivisch Druck ausüben.
Kurzfristig, wie gesagt, schwanken die Märkte zwischen Inflationssorgen und Rezessionsängste. Rezessionssorgen würden die Renditen nach oben bringen, Rezessionsängste die Renditen ein Stückchen nach unten. Beim Thema Anleihen und Zinsen sind ja die Notenbanken meistens nicht weit. Trump möchte den Chef der US-Notenbank Jerome Powell gerne auswechseln, weil der ihm zinspolitisch zu unabhängig agiert. Im Herbst könnte schon ein Nachfolger benannt werden, schrieb zum Beispiel kürzlich das Wall Street Journal.
Titus Kroder:
Mit welchem weiteren Zinspfad muss man denn nun auch abseits dieser möglichen Personal-Rochade rechnen. Was meinst du?
Philip Gisdakis:
Also, fangen wir mal mit Europa und der EZB an. Die EZB hat aus unserer Sicht den größten Teil ihres Zinssenkungszyklus schon hinter sich. Die Märkte erwarten noch ein, vielleicht zwei Zinssenkungen im Basisszenario. Unsere Hausmeinung ist eine weitere Zinssenkung von 1/2,0 Prozent der Einlagenfazilität auf 1,75. In den USA könnten es noch etwas mehr sein. Die Notenbank selbst rechnet mit zwei bis drei Zinssenkungen, wenn man sich den Dot plot anschaut. Der Dot plot oder auch die Punktewolke gibt die Erwartungen der einzelnen Zentralbank-Gouverneure der Federal Reserve an: jeder einzelne Gouverneur einen Punkt, wie sich die Zinsen in den kommenden Jahren entwickeln werden.
Wir erwarten noch zwei weitere Zinssenkungen, aber ich würde sagen, da gibt es schon ein gewisses Downside-Risiko, das natürlich was damit zu tun hat, wie die konjunkturelle Entwicklung sein wird. Also, es könnten dann mehr als die von uns erwarteten Zinssenkungen sein und auch in Europa könnten natürlich noch mehr Zinssenkungen kommen in Abhängigkeit des Handelskonfliktes.
Wenn jetzt zum Beispiel Zölle zusätzlich auf Europa eingeführt werden, mehr als das erwartet wird und das die europäische Wirtschaft belasten oder der Euro deutlich zulegen würde, könnte es sein, dass die EZB hier auf den Plan gerufen wird und nochmal mit Zinssenkungen nachlegt. Verbal hat die EZB ja in Form von einigen Kommentaren schon angekündigt, dass ihr ein weiteres Erstarken, ein weiterer Auftrieb des Euros gegen den US-Dollar in Regionen weit über der 1,20 missfallen würde. Und da könnte dann zu mindestens verbal noch was dargelegt werden. Aber um es zusammenzufassen, wir erwarten eine weitere Zinssenkung der EZB und zwei weitere in den USA.
Titus Kroder:
Helen, was erwartet ihr bei Amundi wie es zinspolitisch weitergeht in den USA? Ist das ähnlich, wie das Philipp sieht?
Helen Windischbauer:
Es ist ähnlich, aber ein bisschen noch stärker Richtung Zinssenkung. Das heißt: in den USA gehen wir davon aus, dass die US-Zentralbank dreimal noch, sogar in diesem Jahr, die Zinsen senken wird. Ja, wir werden sehen, wie sich es weiterentwickelt. Hintergrund hierfür ist natürlich die Schwäche des Konsumenten und die Idee, dass die Wachstumsverlangsamung in den USA einfach stärker zutage tritt auch in den harten Zahlen und hier die Zentralbank ein Stück weit mehr konjunkturelle Unterstützung geben wird. Andererseits wissen wir auch, dass die US-Zentralbank derzeit reagiert, also sie reagiert eigentlich mehr auf die Entwicklungen. Mal sehen, wie es weiterkommen wird.
Für die EZB, also für die Europäische Zentralbank gehen wir von zwei Zinssenkungen noch in diesem Jahr aus. Auch hier bleibt abzuwarten, inwieweit auch hier die Zentralbank der Konjunktur noch folgen mag. Rein von der Inflationsentwicklung her ist es durchaus möglich, zwei Zinssenkungen in Europa noch in diesem Jahr machen zu können. Also, hier sehen wir tatsächlich auch ein Untertauchen unter die Komfortzone um die zwei Prozent des zentralbaren Ziels in Europa. Also, hier hat die EZB noch genügend Luft und auch ja konjunkturell ist noch einiges an Aufholeffekt möglich, sodass da noch weitergemacht werden kann. Ich meine, grundsätzlich ist es ein gutes Signal auch an die Kapitalmärkte und an die Risikoanlagen. Wir sind noch auf der Zinssenkungsseite in diesem Jahr, aber auch im nächsten Jahr. Wir sind noch davon entfernt, dass Zentralbanken klar kommunizieren, dass sie aufhaltend sind und weit weg davon, dass die Zentralbanken sagen, wir stellen uns wieder auf einen Zinserhöhungszyklus ein. Also ,das alles in allem erstmal gute Nachrichten.
Titus Kroder:
Ein klassischer Abschluss des Podcasts heute, der Blick ins Portfolio. Helene, du bist Head of Multi-Asset Solutions bei Amundi. Wo setzt ihr aktuell die Gewichte in der unsicheren Gemengelage, die wir jetzt gerade bisher diskutiert haben?
Helen Windischbauer:
Grundsätzlich in dieser Gemengelage und ich sagte es ja am Anfang, volatil, aber mit einem zu erwartenden positiven Ausgang und positiven Start ins 2026, sind wir ‚risk on‘, wie es so schön heißt. Also, wir schauen, dass wir in den Portfolien Risiko dazunehmen. Allerdings auch wohl wissend, dass in so einer volatilen Phase es auch immer zu Rückschlägen kommen kann, sodass wir Portfolien erstmal breit streuen, breit aufstellen, über die Anlageklassen hinweg, aber auch über die Regionen und Sektoren hinweg oder je nach Kundenwunsch auch richtige Sicherungspuffer einbauen in die Portfolien.
Fange ich vielleicht mal an auf der Anleihenseite. Ich hatte es auch vorhin schon gesagt, wir gehen von einer weiteren Versteilung der Zinsstrukturkurve aus. Das heißt, innerhalb der Laufzeiten kann man sich gut positionieren, bleibt agil, man bleibt aktiv, verfolgt natürlich die Zentralbankkommunikation ein Stück weit noch ziemlich eng. Vorsichtig sind wir natürlich bei dem längeren Ende der US-Anleihen, aber wenn sich taktische Möglichkeiten ergeben, sind wir hier auch investiert.
Grundsätzlich zu den Anleihen, es gibt noch sehr interessante auskömmliche Renditen entlang der Risikoprofile, entlang der Zinsstrukturen, Laufzeitenprofile. Hier kann man gut investieren. Wenn man ein bisschen Risiko wieder reduzieren möchte, setzen wir auf Unternehmensanleihen mit Investmentgrade-Einschätzung, also das heißt die sichere Einordnung und nicht Triple B, aber davon abgesehen, können Unternehmen einfach profitieren von einer robusten wirtschaftlichen Entwicklung. Die Unternehmen grundsätzlich mit guten Bilanzen auf der Aktienseite sind interessant. Also, hier Thema Qualitätstitel auf der Aktienseite, sind wir auch, ich sagte es vorhin schon positiv eingestellt, wir sehen wieder positive Gewinnerwartungen, die Gewinnschätzungen steigen nach dem BIP jetzt im zweiten Quartal 2025, hier breit streuen auf die Regionen Europa, aber auch Schwellenländer, diversifizieren über Sektoren Branchen hinweg, aber auch Investoren Stile. Beispielsweise in den USA könnte man sich überlegen, Value-Aktien dazu zu nehmen ins Portfolio, denn in den USA sehen wir gestiegene Inflationserwartungen und da profitieren traditionell Value-Aktien davon. Also, hier kann man wirklich breit sich aufstellen. Man kann viele Möglichkeiten nutzen und wir sagen auch, es ist jetzt die Zeit für Sektoren für Regionen und Länder und weniger die Zeit für den Markt. Damit ist gemeint nicht den breiten Markt zu kaufen, sondern tatsächlich einzelne Bereiche im Markt zu selektieren, in Ruhe die Chancen nutzen und aussuchen. Ich denke, damit hat man ein breites Portfolio, nicht zu vergessen, Inflationsschutz einzubauen über Gold oder auch beispielsweise über inflationsgeschützte Anleihen.
Titus Kroder:
Philipp, zum Vergleich dazu, mit welcher Portfolioausrichtung setzt ihr eure Strategie um im Rest des Jahres?
Philip Gisdakis:
Helene hat es sehr schön zusammengefasst. Ein risikobewusstes Risk-on-Szenario oder Risk-on-Strategie. So kann man unsere Strategie auch zusammenfassen. Wir haben ja im ersten Halbjahr Risiko abgebaut, Aktienquote runtergenommen, um der Volatilität ein bisschen entgegenzuwirken. Wir werden jetzt Aktienquote wieder aufbauen, verstärkt in Europa. Also, das heißt, wir werden Europa bevorzugen und auch wieder ein Stückchen mehr zyklische Branchen hinzunehmen, auch das ist ein europäisches Thema. Wir haben auf der sicheren Seite nach wie vor Gold im Übergewicht und sind damit auf der Fixed-Income-Seite ein bisschen vorsichtiger, insbesondere in den USA. Unsere ‚Recommendation‘ für US-Staatsanleihen ist ja untergewichtet und auch beim Dollar ein bisschen vorsichtig sein.
Aber insgesamt, wie Helene das auch schon gesagt hat, die Gewinnerwartungen steigen. Das fundamentale, das wirtschaftliche Umfeld wird sich zunehmend aufhellen. Die amerikanische Wirtschaft ist robust. Die europäische Wirtschaft wird stärker auch aufgrund des Investitionspakets. Deswegen Aktienquote moderat hoch, insbesondere in Europa.
Die Wachstumsbranchen gerade in den USA nicht vernachlässigen. Auf der Branchenseite wieder ein bisschen mehr zyklische Branchen hinzunehmen und auf der Fixed-Income-Seite bevorzugen wir auch Unternehmensanleihen gegenüber Staatsanleihen und europäische Staatsanleihen gegenüber US-Staatsanleihen und man kann auch wieder verstärkt Schwellenländeranleihen auf der Fixed-Income-Seite zumischen. Hier insbesondere sogenannte in den lokalen Währungen, damit man insbesondere bei den Hard Currency Emerging Markets Debt Produkten das Dollarrisiko ein bisschen rausnimmt. Also, lieber Local Currency Emerging Market Debt Produkte als Hard-Currency-Emerging-Market-Debt.
Titus Kroder:
Danke euch sehr. Helen Windischbauer war das von Amundi und Philipp Gisdakis von der HVB. Beide sind ausgewiesene Kenner der Finanzmärkte und Anlageuniversen in allen möglichen Asset-Klassen. Es geht nun langsam Richtung Hochsommer und man wird bei so viel Schnappatmung in der Wirtschafts- und Geopolitik nicht umhinkommen, auch im Liegestuhl am Strand die eine oder andere Nachrichtenseite auf dem Handy zu laden. Neben Zöllen und Zoff gibt es hoffentlich auch ein paar versöhnliche Zugeständnisse. Und dennoch müssen wir wohl als Anleger derzeit einfach auf sehr geringe Sicht weiterfahren.
Hinweise, Fragen und Kommentare richten Sie bitte wie immer an markt-briefing@unicredit.de. Unser nächster Download steht ab dem 28. Juli für Sie bereit. Wirtschaft und Finanzmärkte bleiben niemals stehen, deshalb immer wieder das HVB Markt-Briefing hören. Es verabschieden sich Helene Windischbauer, Philipp Gisdakis und Titus Kroder. Bis zum nächsten Mal.