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HVB Markt-Briefing vom 21. März 2025

"US-Zoll-Chaos: Wie gefährlich wird Trump für die Wirtschaft?
+++ Finanzmärkte: Sehen Investoren bereits die Rezession?"

 

Philip Gisdakis:
Man sieht also, dass diese zusätzlichen Schulden die Verschuldung vielleicht auf 80 Prozent vom BIP treiben würden. Das ist ungefähr dort, wo Länder wie Österreich oder Finnland auch sind. Also jetzt auch kein großes Problem.

Andreas Rees:
In den USA im Staatsdienst, da arbeiten knapp zweieinhalb Millionen Menschen. Wenn man hier mit dem Hammer draufhaut, dann könnte es natürlich schon sein, dass auf Sicht von ein paar Monaten der Arbeitsmarkt auch mal ein bisschen anfängt zu wackeln. Dann werden natürlich alle gleich nervös werden. Also es ist ein Risiko.

Titus Kroder:
Herzlich willkommen zu einem kurzen Update in unruhigen Zeiten. Titus Kroder begrüßt Sie zu einem HVB-Marktbriefing, das einmal mehr den Blick auf die USA richtet. Denn was dort gerade täglich passiert, wird auch Wirtschaft und Finanzmärkte in Europa im Rest des Jahres und darüber hinaus entscheidend prägen. Wenn Amerika also hustet, bekommt Europa dann die Grippe? Diese Frage gilt es aktuell zu überprüfen.

Was stellen die erratischen Manöver der Regierung Trump mit der US-Wirtschaft und den Börsen an – und was davon dürfte auch bald bei uns ankommen? Unsere Experten kennen Sie als Marktbriefing-Fan bereits. Bei mir sind Andreas Rees und Philip Gisdakis. Hallo, seid herzlich gegrüßt im aktuellen Podcast.

Andreas Rees:
Hallo, grüß euch.

Philip Gisdakis:
Hallo, ich grüße euch.

Titus Kroder:
Andreas, die Antrittsrede von Donald Trump vor dem US-Kongress war gespickt mit Selbstbeweihräucherung und großartigen Ankündigungen. Ein goldenes Zeitalter beginne nun, nachdem endlich wirtschaftlich das Richtige in die Wege geleitet worden sei. Natürlich waren da die Zölle gemeint, die inzwischen gegen alle möglichen Handelspartner verhängt wurden.

Parallel gibt es nun aber auch Experten, die sagen, das Risiko, dass das alles in einer Rezession endet, steige immer weiter. Was siehst du da als Chefvolkswirt der HVB auf uns zukommen? Eine harte Crashlandung der US-Wirtschaft oder eher die versprochenen goldenen Wachstumsjahre? Wie hoch ist aktuell das Rezessionsrisiko?

Andreas Rees:
Ja, Titus, da würde ich mal locker sagen: weder noch. Also kein goldenes Zeitalter, aber auch keine Crashlandung. Wenn ich mir jetzt so ein bisschen anschaue, die ganzen volkswirtschaftlichen Indikatoren – und auch ein bisschen Portion Bauchgefühl dabei – dann würde ich sagen, die Rezessionswahrscheinlichkeit aktuell ist nach wie vor niedrig.

Ich würde sie mal mit so rund 20 Prozent beziffern, aber sie ist in den letzten Wochen schon ein bisschen gestiegen.

Titus Kroder:
Philip, blickt man auf die Börsencharts, dann überzeugt die Pessimisten am meisten wohl die negative Wertentwicklung der US-Aktienbörsen, seit Donald Trump im Weißen Haus mit seinem schwarzen Filzstift einen Zoll nach dem anderen absegnet. Ist das für dich als Chefanlagestratege der HVB nun für die Märkte schon ausgemachte Sache, dass eine Rezession kommen wird?

Philip Gisdakis:
Nein, Titus, weder für mich noch für die Märkte ist das eine ausgemachte Sache. Auch die Rezessionsglocke schrillt nicht besonders schrill am amerikanischen Markt oder den Kapitalmärkten insgesamt.

Der Aktienmarkt in den USA hat zwar schon einen deutlichen Rücksetzer erlebt – übrigens im Gegensatz zu den europäischen und den deutschen Aktienmärkten, die eine deutliche Rallye hingelegt haben. So befand sich der amerikanische Aktienmarkt zeitweise im sogenannten Correction-Modus. Eine Korrektur ist ein Rücksetzer um mehr als 10 Prozent vom bisherigen Hochpunkt. Da sind wir aber mittlerweile wieder drüber.

Auch die gängigen Rezessionsbarometer an den Kapitalmärkten zeigen noch keine, sag ich jetzt mal, wirklich eindeutigen und klaren Signale. Es ist schon so, dass die allgemeine Stimmung ein bisschen eingetrübt ist – so sieht man das zum Beispiel auch am Volatilitätsindex VIX, der ja auch als Angstbarometer gesehen wird. Der ist ein bisschen angestiegen, aber nicht übermäßig dramatisch, kommt auch schon wieder ein bisschen zurück. Es gibt ein paar Umfragen zu Konsumentenvertrauen, die ein bisschen abgekühlt sind. Aber so Dinge wie Gewinnerwartungen, Wachstumserwartungen haben sich noch nicht verändert. Und auch die Konsensusschätzungen zum Rezessionsrisiko in den USA – auch das wird von Researchers abgefragt – sind nur ganz marginal gestiegen, ich glaube von 15 auf 20 Prozent. Das ist tatsächlich sehr wenig.

Donald Trump (Originalton):
"Tariffs are about making America rich again and making America great again. And it's happening, and it will happen rather quickly. There'll be a little disturbance, but we're okay with that. It won't be much."

Titus Kroder:
Das war Donald Trump in der bereits erwähnten Antrittsrede, und da gab es eben diese eine kurze Bemerkung von ihm, dass die US-Wirtschaft wegen seiner Zollpolitik eben doch eine kurze, vielleicht schwierige Startphase haben könnte. "There will be a little bit of disturbance. It won't be much", so drückt er sich da aus.

Wie sehr, Andreas, wird Trump denn nun zur Gefahr für die eigene Wirtschaft – deiner Meinung nach?

Andreas Rees:
Man kann schon mittlerweile von einer gewissen Gefahr sprechen. Denn wenn er das alles umsetzen würde, was er da alles versprochen hat an höheren Zöllen, dann könnte es schon zu einer Art Zollschock kommen – für die USA, aber natürlich auch für die restliche Weltwirtschaft.

Stand heute: bislang wurden die Zölle auf chinesische Produkte und auf Stahl und Aluminium – also auf alle Länder gleichzeitig – angehoben. Aber da ist ja noch einiges in der Pipeline, was kommen könnte, was er angedroht hat: höhere Zölle von 25 Prozent auf Importe aus Kanada und Mexiko und auch 25 Prozent auf Güter aus der Europäischen Union.

Wenn er das wirklich alles umsetzen würde, dann würden die amerikanischen Zölle auf ein Niveau steigen, das wir zuletzt vor mehr als 80 Jahren hatten – also Anfang der 1940er Jahre.

Höhere Zölle bergen das Risiko von höherer Inflation. Höhere Inflation könnte auch höhere Zinsen bedeuten – gerade bei längeren Laufzeiten am Rentenmarkt. Das könnte die US-Wirtschaft dann zusätzlich nochmal einbremsen. Eine höhere Inflation könnte aber auch Streit mit der amerikanischen Notenbank – mit der FED – bedeuten. Und das wiederum könnte auch für mehr Volatilität an den Finanzmärkten sorgen. Auch das wäre nicht gut für die amerikanische Wirtschaft.

Titus Kroder:
Also die Maßnahmen haben durchaus eine historische Dimension. Warum ist bei all dem, was du gerade gesagt hast, das Szenario einer Rezession nicht euer zentrales Basisszenario? Also kein Szenario, das ihr eigentlich für am wahrscheinlichsten haltet?

Andreas Rees:
Ja, genau, Titus. Also man muss, glaube ich, genau unterscheiden zwischen politischem Risiko – dem Trump-Risiko – und den Fundamentaldaten. Und die Fundamentaldaten in den USA, die sind nach wie vor gut. Wir haben einen stabilen Arbeitsmarkt, die Löhne steigen ganz ordentlich, auch etwas über der Inflationsrate.

Die Binnenkonjunktur schaut wirklich okay aus, und die privaten Konsumausgaben machen nun mal den Großteil der amerikanischen Wirtschaftsleistung aus und sind dementsprechend sehr, sehr wichtig. Was auch noch positiv ist – das darf man auch nicht vergessen – das wäre jetzt sozusagen etwas Positives von Trump, was kommen könnte: Wahrscheinlich werden wir Steuersenkungen sehen im weiteren Jahresverlauf. Auch das wäre positiv für die amerikanische Konjunktur.

Aus diesen Gründen ist eine Rezession nach wie vor nicht unser Basisszenario. Wir sehen natürlich das politische Risiko – aber niemand weiß halt so richtig, was jetzt passieren wird. Trump hat ja für den 2. April angekündigt, mehr Details zu liefern im Hinblick auf Zölle. Da warten wir jetzt halt erst mal ab, was da genau kommt.

Titus Kroder:
Nähere Informationen und Hintergründe zu dem, was Andreas gerade gesagt hat, finden Sie in den Shownotes. Dort ist das aktuelle Chartbook der HVB verlinkt.

Philipp, wie sieht man das eigentlich alles mit der Rezession an den Rentenmärkten? Die Bond-Yields – also die Marktverzinsung und Risikomarker der 10-jährigen Anleihen – fallen dort seit dem Amtsantritt von Donald Trump. Was besagen für dich die aktuellen Signale am Anleihenmarkt mit Blick auf eine mögliche Rezession?

Philip Gisdakis:
Ja, den Rentenmärkten sieht man schon eine gewisse Wirkung – insbesondere seit ungefähr Mitte Februar. Da sind die Renditen deutlich gefallen. Die 10-jährigen US-Treasury-Renditen haben Mitte Februar einen Hochpunkt von etwa 4,8 Prozent gehabt und stehen aktuell bei 4,2 Prozent. Das ist in den letzten Wochen schon ein deutlicher Rückgang.

Getrieben wird das Ganze übrigens auch von den Erwartungen der amerikanischen Zentralbank. Wir erinnern uns vielleicht: Bis Mitte September – bevor dieser sogenannte Trump-Trade losging, also als die Märkte noch einen Wahlsieg von Kamala Harris erwartet haben – waren deutliche Zinssenkungen der Zentralbank eingepreist, bis runter auf zweieinhalb Prozent und zum Teil sogar drunter.

Das ist dann mit dem Trump-Trade rausgegangen, und es waren zum Schluss nur sehr geringfügige Zinssenkungen seitens der Zentralbank eingepreist. Das hat sich jetzt ein bisschen geändert. Die aktuelle Erwartungskurve bezüglich der Zentralbanksätze liegt mehr oder weniger zwischen dem Hochpunkt Mitte Februar und dem Tiefpunkt wie Mitte September vor dem Trump-Trade.

Man spürt, dass der amerikanische Rentenmarkt sich nicht so richtig entscheiden kann, ob das Szenario jetzt anhaltender Inflationsdruck sein wird – wie es der Trump-Trade nahegelegt hat, also mit weniger Zinssenkungen – oder möglicherweise doch eine spürbare Abkühlung der Wirtschaft, bei der es mehr Zinssenkungen geben könnte. Wie gesagt, im Moment liegt die Kurve mehr oder weniger zwischen diesen beiden Extremwerten.

Titus Kroder:
Was ja die Rentenmärkte und vor allem auch die Devisenmärkte betreffen dürfte, ist der Plan des sogenannten Mar-a-Lago-Akkords – benannt nach der Residenz von Donald Trump in Florida. Ziel dieses Plans ist es, den Dollar dauerhaft günstiger gegenüber anderen Währungen zu machen und auch das Thema US-Staatsschulden ganz neu zu denken. Auch hier spielen alle möglichen unorthodoxen Maßnahmen eine Rolle.

Vielleicht kannst du ganz kurz einen Überblick geben, was da geplant ist und auch eine Aussage, ob das überhaupt Aussicht auf Verwirklichung hat?

Philip Gisdakis:
Dieser sogenannte Mar-a-Lago-Akkord ist angelehnt an den sogenannten Plaza-Akkord. Der Plaza-Akkord war ein Abkommen der USA – damals mit den sogenannten G5-Staaten, also Frankreich, Deutschland, Japan, USA und Großbritannien – Mitte der 1980er Jahre, wo man eben im Plaza Hotel in New York vereinbart hat, dass Währungsinterventionen vorgenommen werden, um den Dollar dauerhaft – insbesondere gegenüber der deutschen Mark und dem japanischen Yen – zu senken.

Übrigens ein kleiner Fun-Fact: Das Plaza Hotel ist das gleiche, in dem auch "Kevin allein in New York" spielt und in dem er in einer Szene Donald Trump über den Weg läuft.

Jetzt geht es aber nicht um den Plaza-Akkord, sondern um den Mar-a-Lago-Akkord. Der wird deswegen so genannt, weil es um die Idee geht, den Dollar zu senken. Die Trump-Administration möchte damit das verarbeitende Gewerbe und die Exportwirtschaft in den USA stärken.

Dazu möchte man einerseits den Wechselkurs senken und andererseits die Finanzierungskosten sowohl für den amerikanischen Steuerzahler als auch für die Unternehmen entsprechend senken, um dort wettbewerbsfähiger zu werden.

Es wird in diesem Zusammenhang sehr viel über unterschiedliche Maßnahmen gesprochen. Es werden auch Ideen kolportiert, zum Beispiel die, ausländische Investoren in amerikanische Staatsanleihen davon zu überzeugen, ihre Staatsanleihen in langlaufende Anleihen mit niedrigen oder gar keinen Coupons zu wechseln.

Man muss allerdings sagen: Damals beim Plaza-Akkord haben alle gemeinsam an einem Strang gezogen, um das zu bewerkstelligen. Heute würde ich sagen, ist die Interessenslage der entsprechenden Handelspartner nicht so groß, das entsprechend freiwillig zu tun.

Das Ganze steht auch noch unter der Maßgabe, dass mit dieser Schwächung des US-Dollars die sogenannte "Dollar Dominance" – also dass der US-Dollar die Weltreservewährung und Welthandelswährung ist – nicht in Frage gestellt werden kann. Und das sind Randbedingungen, die so ein Abkommen oder so eine Entwicklung sehr schwer machen könnten.

Denn wenn hier Zwang oder starker wirtschaftlicher Druck ausgeübt werden würde, dann würde sicherlich die Reputation des US-Dollars in Zweifel gezogen. Das dürfte die USA – und auch Donald Trump – tatsächlich nicht wollen.

Also: Da werden viele Dinge drunter subsummiert. Ich halte es im Moment für wenig wahrscheinlich, dass so eine Entwicklung Erfolg haben dürfte. Aber man muss darüber sprechen, denn es handelt sich tatsächlich um ein sogenanntes Tail-Risiko – dass so etwas kommen könnte.

Und wenn solche Tail-Risiken auch nur in ihrer Wahrscheinlichkeit steigen, dann haben sie trotzdem eine hohe Implikation auf die Kapitalmärkte. Sie könnten dann das Einpreisen von Risikoprämien nach sich ziehen, was durchaus am Währungsmarkt oder Anleihenmarkt zu Verwerfungen führen kann.

Titus Kroder:
Tail-Risk – das müssen wir kurz erklären. Ich denke da an Statistikvorlesungen an der Uni zurück, an die berühmte Gaussglocke. Was ist das Tail-Risk, in einem Satz gesagt?

Philip Gisdakis:
Die Gaussglocke hat ja an den Rändern diese Schwänze – Tails eben – und da ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering. Und deswegen bezeichnet man Risiken, deren Eintrittswahrscheinlichkeit sich in den Ausläufern der Gausskurve befindet, als Tail-Risiken.

Allerdings bezeichnen wir nicht alle abseitigen Risiken mit niedriger Wahrscheinlichkeit als Tail-Risiken, sondern nur solche, die zwar eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit haben, aber wenn sie dann eintreten, eine massive Auswirkung auf die Kapitalmärkte hätten.

Und wie ich gerade gesagt habe: Wenn solche Risiken mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit in der Wahrscheinlichkeit steigen – und sei es nur marginal – dann können sie enorme Auswirkungen haben.

Ein Risiko, das man gängigerweise kennt mit so einem Profil, ist das Kreditrisiko. Auch Risiken mit guter Bonität (Investment Grade) haben zum Teil Ausfallrisiken von 0,5 Prozent. Und wenn die dann von 0,5 auf 3, 4 oder 5 Prozent steigen – was immer noch eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit ist – dann bewegen sich die Kurse von den Anleihen aber sehr, sehr deutlich. Das subsummiert man dann typischerweise unter Tail-Risiken.

Titus Kroder:
Andreas, zurück zur Frage: Wie stark ist die US-Wirtschaft nun eigentlich gewachsen im ersten Quartal, das ja nun schon zu Ende geht? Man liest, dass die Wirtschaft bereits geschrumpft sein könnte – was per se aber ja noch keine Rezession wäre. Was besagen da deine Erwartungen bezüglich des ersten Quartals in den USA?

Andreas Rees:
Ja, das kann man nicht ganz ausschließen, dass die amerikanische Wirtschaft wirklich im ersten Quartal geschrumpft ist. Wir rechnen mit einer Stagnation der US-Wirtschaft im ersten Quartal, aber es könnte eben auch ein Schrumpfen sein. Das klingt jetzt ein bisschen widersprüchlich zu dem, was ich gerade gesagt habe, aber im ersten Quartal haben Sonderfaktoren eine ganz wichtige Rolle gespielt, die man einfach nicht so fortschreiben kann für den weiteren Jahresverlauf.

Der Sonderfaktor – und da sind wir wieder beim Thema Donald Trump – hat etwas mit den Zöllen zu tun. Es gibt die Befürchtung, dass die amerikanischen Zölle angehoben werden könnten, und dadurch haben viele Exporteure ihre Warenlieferungen so schnell wie möglich in die USA gebracht – also haben die Lieferungen vorgezogen, um dem möglicherweise höheren Zollsatz noch ausweichen zu können.

Dadurch sind die amerikanischen Importe sprunghaft angestiegen im ersten Quartal. Und das amerikanische Handelsbilanzdefizit ist noch höher ausgefallen als sonst. Und das belastet eben die Wirtschaft. Deshalb könnte es auch zu einem Schrumpfen kommen. Aber wie gesagt: Das kann man nicht fortschreiben ins zweite Quartal. Also nicht erschrecken, wenn die BIP-Zahlen kommen – die werden Ende April für die USA veröffentlicht werden. Nicht erschrecken und die Zahl fortschreiben, sondern man muss eben die Zahl relativieren und in den Kontext einordnen.

Titus Kroder:
Die Jobs, der Arbeitsmarkt, die offenen Stellen – das sind ganz wichtige Parameter für den Gesundheitszustand der US-Wirtschaft. Neuerdings steckt da so eine Art Musk-Effekt drin. Elon Musk, der Unternehmer hinter Tesla und SpaceX, ist von Trump beauftragt worden, das sogenannte Doge-Programm durchzuziehen. Es geht dabei um Massenentlassungen von Staatsbediensteten in allen möglichen US-Behörden. Musk zeigt sich daher gerne beim Schwingen einer Kettensäge. Kann deiner Meinung nach das Doge-Programm die robusten Beschäftigungszahlen in den USA gefährden – und vielleicht sogar zum Absturz der US-Wirtschaft beitragen?

Andreas Rees:
Da muss ich ein bisschen weiter ausholen. Also einmal: Man versucht, den Staatsapparat effizienter zu machen, Bürokratie abzubauen – auch durch den Abbau von Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Langfristig könnte das funktionieren, wenn man das richtig macht. Ich mache da jetzt mal ein Fragezeichen dahinter, ob das wirklich richtig gemacht wird. Denn die Entlassungen finden im Moment nach dem Rasenmäherprinzip statt.

Und es ist natürlich auch richtig: Wir haben einen engen Arbeitsmarkt in den USA. Die Beschäftigten, die aus dem Staatsdienst entlassen werden, haben sicherlich eine gute Chance, über kurz oder lang im Privatsektor unterzukommen.

Also längerfristig kann das alles funktionieren. Aber kurzfristig – auf Sicht der nächsten Monate – nicht jeder, der entlassen wird, wird erst einmal sofort einen neuen Job finden. Das braucht Zeit, bis man eine neue Beschäftigung gefunden hat.

Wenn man sich das mal anschaut von den Größendimensionen: Auf Bundesebene in den USA arbeiten im Staatsdienst knapp zweieinhalb Millionen Menschen. Das ist die Zahl ohne die Post – die in den USA faktisch autonom agiert – und auch ohne das Militär.

Der Staat im öffentlichen Dienst auf Bundesebene ist also der größte Arbeitgeber in den USA. Man muss es natürlich in Relation setzen zur gesamten Beschäftigung – zweieinhalb Millionen im Verhältnis zu fast 160 Millionen Erwerbstätigen. Aber das ist schon mal ein Wort mit den öffentlichen Bediensteten.

Wie gefährlich ist das Ganze? Im Moment ist es wirklich schwer zu beurteilen, wie stark der Umfang der Entlassungen wirklich ist. Wir haben Ankündigungen von Entlassungen, faktisch schon durchgeführte Entlassungen, aber auch das Rückgängigmachen von Entlassungen durch gerichtliche Anordnungen. Von daher ist das relativ schwierig durchschaubar.

Aber: Wenn man hier wirklich mit dem Hammer draufhaut, dann könnte es natürlich schon sein, dass auf Sicht von ein paar Monaten der Arbeitsmarkt auch mal ein bisschen anfängt zu wackeln – und dass dann auch mal schlechte Arbeitsmarktzahlen kommen. Dann werden natürlich alle gleich nervös. Also: Es ist ein Risiko.

Titus Kroder:
Wenn die USA niesen, bekommt Europa Schnupfen – eingangs hatte ich diesen Satz schon erwähnt. Ich glaube, der stammt vom bekannten Investor André Kostolany. Wird das also so kommen? Wird sich Europas Wirtschaft durch die chaotische US-Wirtschaftspolitik letztlich einen Schnupfen holen? Was glaubst du?

Andreas Rees:
Mir ist nochmal ganz wichtig zu betonen: Das Basisszenario USA – wir denken, es läuft nach wie vor gut. Q1 war nicht toll, aber danach wird es wieder besser werden.

Aber wenn man jetzt mal denkt in einem Risikoszenario, dann wäre es natürlich schon so, dass eine Abschwächung in den USA relativ stark durchschlagen würde – stärker als im nächsten Jahr. Denn die Konjunktur in Deutschland ist im Moment immer noch ziemlich wackelig. Es ist wenig Dynamik da, und es gibt vor allem deshalb auch kein richtiges Sicherheitspolster.

Das Fiskalpaket in Deutschland, das wir jetzt bekommen werden, wird in diesem Jahr für die Konjunktur faktisch keine Rolle spielen. Denn die Infrastrukturausgaben – das muss ja alles geplant werden. Die Kapazitäten für die Produktion von Verteidigungsgütern – das muss ja auch erst mal erweitert werden durch die Unternehmen. Also: Das wird alles Zeit beanspruchen.

Von daher – in diesem Jahr, wenn etwas aus den USA kommen sollte in einem Risikoszenario – dann habe ich schon die Befürchtung, es könnte auch wirklich auf die deutsche und die europäische Konjunktur durchschlagen.

Im nächsten Jahr – da denke ich – sehen wir dann die ersten Auswirkungen von mehr staatlichen Ausgaben in Deutschland und in Europa. Dadurch werden wir etwas weniger abhängig von den USA. Aber für dieses Jahr kann ich mir eine Entkoppelung zwischen den USA und Europa nicht vorstellen.

Titus Kroder:
Philip, Andreas hat das Thema schon angeschnitten. Auch im Bundestag kamen nun ja die Schockwellen aus Amerika an. Man hat dort das Multimilliardenschuldenpaket verabschiedet, unter anderem um Deutschlands Armee künftig vom Begleitschutz der US-Streitkräfte unabhängiger zu machen. Man will in sehr großem Maßstab in Infrastruktur investieren. Es geht dabei um wahrhaft gigantische Schuldenpläne.

Wird das nicht auch vielleicht langfristig die Marktzinsen – die Yields an den Anleihenmärkten – nach oben treiben? Und was heißt das für eure Anlagestrategie bei der HVB?

Philip Gisdakis:
Die Auswirkungen dieser Pakete auf die europäische Wirtschaft, auf die deutschen Staatsfinanzen und auf die Anlagestrategie ist eine häufig gestellte Frage, die ich bekomme – insbesondere von Kundinnen und Kunden, die fragen, wie denn das die Kreditwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland beeinflussen könnte und ob wir uns diese Schuldenpakete leisten könnten.

Dazu kann man eine relativ einfache Rechnung machen: Wir wissen, dass die gesamte deutsche Wirtschaftsleistung 4,3 Billionen Euro ausmacht. Und jetzt machen wir es uns mal ganz einfach und runden das auf 5 Billionen Euro auf – dann wird die Rechnung leichter.

Also: Wirtschaftsleistung angenommen 5 Billionen Euro. Aktuell ist die Staatsverschuldung Deutschlands bei 60 Prozent. 60 Prozent von 5 Billionen Euro sind 3 Billionen Euro – das ist ungefähr das, was wir an Staatsverschuldung haben. Genauer ist es ein bisschen niedriger, weil eben auch das BIP niedriger ist.

Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass die deutsche Wirtschaft in den kommenden zehn Jahren nur mit der Inflationsrate wachsen würde – also ungefähr 2 Prozent im Jahr – dann würde das über zehn Jahre 20 Prozent Steigerung der Wirtschaftsleistung allein aufgrund der Inflation ausmachen.

Das heißt: In zehn Jahren wäre dann die Wirtschaftsleistung bei 6 Billionen Euro. Wenn man jetzt davon ausgeht, dass die Staatsverschuldung nicht mehr bei 60, sondern bei 80 Prozent liegt, dann sind 80 Prozent von 6 Billionen Euro eben 4,8 Billionen Euro. Das wäre dann ein Anstieg der Staatsverschuldung von 3 auf 4,8 – also 1,8 Billionen Euro.

Man sieht also, dass diese zusätzlichen Schulden, die da aufgenommen werden sollen, die Verschuldung vielleicht auf 80 Prozent vom BIP treiben würden. Und das in dieser Maßgabe – unter der Annahme, dass die Wirtschaft real überhaupt nicht wachsen würde, sondern nur mit der Inflation. Also: Aus finanziellen Gründen wäre das kein großes Problem.

Eine 80-Prozent-Staatsverschuldung – das ist ungefähr dort, wo Länder wie Österreich oder Finnland auch sind. Also jetzt auch kein großes Problem.

Was heißt das für unsere Anlagestrategie? Natürlich können die Renditen steigen, weil mehr Anleihen am Kapitalmarkt platziert werden. Aber die Bundesrepublik Deutschland ist in der Lage, das ohne größere Probleme zu stemmen und zu finanzieren.

Dann: Was machen wir damit in unserer Anlagestrategie? Zunächst einmal bedeuten diese Investitionspakete Emissionsdruck – die Renditen steigen etwas. Deswegen geht man im Portfolio typischerweise eher auf etwas kürzere Laufzeiten, um die Sensitivität des Kurses der Anleihen mit steigenden Renditen zu reduzieren. Also: Eher etwas kürzere Laufzeiten bei Anleihen kaufen.

Gleichzeitig dürften diese Maßnahmen Wirtschaftswachstum entfalten – und das wirkt sich dann positiv auf die Aktienmärkte aus. Also: Mittelfristig sehen wir die Aktienmärkte positiv.

Von den Branchen her ist es so, dass vermutlich in so einem Umfeld die zyklischen Branchen wieder besser laufen – also Unternehmen aus Bereichen, die nah an Infrastrukturinvestitionen sind. Das könnte die Bauwirtschaft sein. Das könnte auch die Chemiebranche sein, weil sie Grundstoffe liefert – oder andere Grundstoffunternehmen.

Auf der anderen Seite muss man ein bisschen vorsichtig sein mit Unternehmen aus Branchen, die sensitiv auf steigende Renditen reagieren – da sind zum Beispiel Versorger zu nennen, weil sie einen Großteil ihrer Bilanz über Fremdkapital finanzieren.

Was man auch sehen kann, ist, dass möglicherweise Unternehmen aus dem Mittelstandsbereich – wie zum Beispiel dem MDAX, der in den letzten fünf Jahren nicht besonders gut funktioniert hat – und auch Value-Aktien im Vergleich zu Growth-Aktien in so einem Umfeld besser funktionieren könnten.

Kurzfristig muss man natürlich noch ein bisschen aufpassen, was jetzt diese Zolldiskussion – die ja auch bezüglich Europa noch nicht ganz abgeschlossen ist – für Auswirkungen auf europäische und zyklischere Unternehmen haben kann. Das muss man beobachten. Aber mittelfristig wäre die Strategie: wieder etwas offensiver in der Branchenallokation zu werden, sich auf europäische Unternehmen wieder etwas stärker zu konzentrieren – und auf der Anleihenseite eher ein bisschen kürzere Laufzeiten.

Und bei den Währungen muss man aufpassen, dass wie bei der Diskussion um den Mar-a-Lago-Akkord eine Abschwächung des Dollars einem nicht die Performance verhagelt.

Titus Kroder:
Das war das HVB-Marktbriefing. Andreas, Philipp – wieder recht herzlichen Dank für eure aktuellen Einschätzungen. Viele Fachleute gruselt es bei der Betrachtung der aktuellen Außenwirtschaftspolitik der Vereinigten Staaten – und bei dem, was auf die USA, Europa und Deutschland zukommen könnte. Darüber haben wir heute differenzierte und auch neue Argumente gehört, wie ich finde.

Wir bleiben für Sie dran am Geschehen – und Sie hoffentlich am HVB-Marktbriefing. Das erwähnte Chartbook ist in den Shownotes verlinkt. Melden Sie sich mit Kommentaren und Hinweisen bei uns unter

Die nächste Ausgabe gibt es ab dem 7. April zum Download. In einer Sonderausgabe dreht sich dann alles um die Automobilbranche, Technologien und entsprechende Anlageperspektiven. Ich hoffe, Sie sind wieder mit dabei. Bis dahin sagen:

Andreas Rees: Andreas Rees
Philip Gisdakis: Philip Gisdakis
Titus Kroder: …und Titus Kroder. Machen Sie es gut!