Sonderausgabe ‚Deep Dive Zinsen‘: Was lernen wir aus den letzten 65 Jahren? Und was heißt das für die Zukunft?
Herzlich Willkommen zu einer neuen Ausgabe des HVB Markt-Briefings. Mein Name ist Nikolaus Barth. Ich bin Wertpapier- und Börsenexperte bei der HVB. Oft reden wir im Rahmen dieses HVB-Markt-Briefings über Leitzinsen und die Entscheidungen der Zentralbanken. Die sind natürlich wichtig für Tagesgeld, für feste Geld und für viele andere eher kurzfristige Anlagen. Heute wollen wir uns mal die Zeit nehmen und uns den langfristigen Zinsen widmen. Uns natürlich auch überlegen, was das für Sie bedeutet, was das für die Machbarkeit von Investitionen bedeutet, aber was auch den ein oder anderen Häuslebauer um den Schlaf bringt, wenn er an steigende Zinsen und steigende Zinsniveaus denkt.
Ich rede darüber heute mit keinem Besseren als Michael Rottmann, der langjährig im Research der UniCredit und den Vorgängerinstituten an leitender Stelle als Zinsstratege aktiv war. Michael, erstmal schön, dass du heute mein Gast bist.
Michael Rottmann:
Aber gerne, Nikolaus.
Nikolaus Barth:
Wir starten erstmal mit einer kleinen Vorstellungsrunde bei dir. Du bist jetzt seit über 40 Jahren bei der UniCredit bzw. bei den Vorgängerinstituten. Du warst ja nicht immer im Research tätig. Was hat dich eigentlich dazu gebracht, zur Bank zu kommen?
Michael Rottmann:
Ich fand seit meiner Jugend Finanzmärkte faszinierend und bin in der Bank aufgrund des Angebots eines anderthalbjährigen Trainee-Programms im Wertpapiergeschäft gelandet.
Nikolaus Barth:
Zunächst hast du...
Michael Rottmann:
...bei der Bayerischen Vereinsbank, wie der damalige Name der Bank war, Aktien und Rentenportfolios verwaltet.
Nikolaus Barth:
Nach gut sieben Jahren bist du dann ins Research gewechselt. Wo liegen deine Schwerpunkte?
Michael Rottmann:
Ja, rein beruflich natürlich auf der Zinsseite, allerdings auch mit einem sehr, sehr starken Interesse für den amerikanischen Venture-Capital-Bereich und natürlich börsennotierte US-Technologieunternehmen.
Nikolaus Barth:
Wir haben ja selten Gäste, die aus so einer langen Erfahrung zurückblicken können. Was war denn für dich die spannendste Phase?
Michael Rottmann:
Oh, da gab es viele, und lass mich kurz nachdenken, um die Liste überschaubar zu halten. Erstens die Anschläge auf das World Trade Center in 2001. Das war vermutlich die intensivste Erfahrung, dies vor dem Fernseher in einem Handelsraum zu verfolgen. Zweiter Aspekt: die europäische Staatsschuldenkrise in 2011 und 2012. Drittens: der Beginn der Covid-Pandemie in 2020 sticht natürlich heraus. Und ich glaube, jetzt höre ich vielleicht besser auf, sonst wird die Liste zu lang.
Nikolaus Barth:
Ich glaube, da können wir uns alle noch ganz gut dran erinnern. Jetzt haben wir aber auch fünf Monate Donald Trump in Washington. Hast du denn eine solche Phase schon mal erlebt in deinen Dekaden an Erfahrung?
Michael Rottmann:
Ja, ich würde sagen häufig sogar. Das klingt jetzt vielleicht für den ein oder anderen Zuhörer seltsam, aber lass es mich erklären. Ich glaube, man neigt immer dazu, die jüngsten Ereignisse überzubewerten. Natürlich hinterlassen die aktuellen Zeiten einen sehr, sehr tiefen Eindruck, weil sie eben so frisch und unberechenbar erscheinen.
Aber jetzt erinnere dich zurück, Nikolaus: Februar und März 2020, der Beginn von Covid, der Shutdown, und keiner von uns wusste, ob eine möglicherweise gewaltige Bilanzsummenrezession uns alle in den Abgrund reißt. Im Nachhinein sind viele Ereignisse häufig weit weniger erschreckend, als es uns dann tatsächlich in Echtzeit vorkommt. Ich will jetzt nicht die diversen Risiken kleinreden, aber mit den aktuellen Turbulenzen kann man umgehen, meiner Meinung nach. Sicherlich, die handelspolitische Verunsicherung ist ein Albtraum für jedes Unternehmen, aber letztlich kommt es ja nicht völlig unerwartet.
Nikolaus Barth:
Und schauen wir uns mal die Entwicklung von verschiedenen Asset-Klassen seit Jahresbeginn an: Zehnjährige amerikanische Staatsanleihe-Rendite mit aktuell rund 4,5 Prozent, gerade mal fünf Basispunkte niedriger als zu Beginn des Jahres. Der US-Aktienmarkt, jetzt mal kurz gemessen am Standard & Poor's 500, unverändert gegenüber Jahresanfang. Zehnjährige deutsche Staatsanleihe-Rendite mit rund 2,6 – um 25 Basispunkte höher. Und was dir sicherlich auch so viel Spaß macht wie mir: Der deutsche DAX plus 20 % seit Jahresbeginn. Also zumindest was die Finanzmärkte angeht, wo – abgesehen von erhöhter Volatilität – ist eigentlich das Problem?
Und wir müssen natürlich an dieser Stelle sagen, dass wir Ende Mai aufzeichnen. Also von daher kann sich natürlich in der Zwischenzeit bis zur Veröffentlichung noch ein bisschen was getan haben, aber im Grunde hast du recht. Deine Leidenschaft sind Renten und Zinsen, und wir wollen ja heute mal zurückblicken und wirklich auch einen langfristigen Rückblick wagen, wenn wir die Entwicklung der letzten Jahrzehnte Revue passieren lassen und darauf einen Ausblick wagen. Wenn wir von Renten sprechen, meinen wir Anleihen – Anleihen beispielsweise, die von der Bundesrepublik Deutschland begeben wurden, und die dazugehörigen Renditen dann entsprechend.
Michael, um eine generelle Einordnung des deutschen Renten- oder Anleihenmarkts zu beginnen: Ich weiß ja aus verschiedenen Gesprächen, dass du die letzten Jahrzehnte an den Zinsmärkten gerne in vier unterschiedliche Phasen unterteilst. Die erste Phase nennst du die ganz alte Welt, dann die alte Welt, die neue Welt und die künftige Welt. Sag doch mal, was du darunter verstehst. Und in den Shownotes werde ich die Grafik verlinken, wo Sie nochmal nachvollziehen können, was der Michael jetzt verbal beschreibt.
Michael Rottmann:
Diese vier Skizzierungen greifen meines Erachtens nach am besten die letzten 50 Jahre ab. Was verstehe ich unter der ganz alten Welt? Die ganz alte Welt umfasst für mich die 1970er und 1980er Jahre, als sowohl die Leitzinsen wie auch zehnjährige Anleihen in einem breiten Bereich von drei bis knapp über zehn Prozent schwanken. Es war eine Zeit, gekennzeichnet durch Ölkrisen und hohe Inflationsraten. Diese endete hier bei uns in Deutschland mit der Wiedervereinigung, als die Bundesbank den Inflationsrisiken einer sehr expansiven Fiskalpolitik mit einer äußerst restriktiven Geldpolitik entgegenwirkte. Diese Zeiten sind vorbei.
Was ist die alte Welt – also nicht die ganz alte Welt, sondern die alte Welt? Für mich ist das das Zeitfenster zwischen 1995 und 2007. Viele Ökonomen beschreiben diese Zeit im Nachhinein als Zeitraum der großen Moderation. Inflationsraten gingen im Trend deutlich zurück. Die Wachstumsraten schwanken in einem überschaubaren Ausmaß, und Leitzins und zehnjährige Renditen verharrten in einer sehr überschaubaren Bandbreite von zwei bis sechs Prozent –
die beste aller Welten, wenn man so will.
Die neue Welt folgte unmittelbar als Antwort auf die große Finanzmarktkrise 2008 und dem permanenten Unterschießen der Inflationsraten – zumindest lagen die Inflationsraten über lange Zeiträume unter den Zielmarken von 2 % der Zentralbanken. Es handelt sich bei dieser neuen Welt an den Zinsmärkten in erster Linie
um eine als utopisch angesehene, unkonventionelle Geldpolitik mit sehr hohen Ankäufen von Anleihen durch die Zentralbanken, negativen Leitzinsen, die selbst langfristige Zinsen in negatives Terrain führten. Vielleicht die Lehre aus dieser neuen Welt: Nichts ist tatsächlich so unrealistisch, dass es nicht irgendwann doch passiert.
Wie schaut nun die künftige Welt aus? Diese neue Welt endete in 2022, als eben diese Inflationsraten deutlich zulegten und die Zentralbanken mit einer stark restriktiven Geldpolitik dagegenhielten. Wie sieht nun die künftige Welt aus? Ich glaube, man kann das skizzieren, indem man einfach Terminkurse für Geldmarktsätze, aber auch für langfristige Zinsen verwendet – wie sie an den Märkten heute ganz aktuell gehandelt werden. Die aktuelle Botschaft der Marktteilnehmer, was das Leitzinsniveau im Euroraum angeht: Wir sind fast am Ende des Zinssenkungszyklus angekommen. Das heißt, die künftige Welt wird sich vom Zinsniveau auf einem Level bewegen, das um einiges höher liegt. Das orientiert sich auch an der Überlegung, dass momentan ein neutrales Leitzinsniveau von den Zentralbanken im Bereich von rund 1,75 bis 2,25 Prozent veranschlagt wird. Also über einen Horizont von zehn Jahren wird die künftige Leitzinswelt im Euro-Raum auf rund zwei bis drei Prozent skizziert.
Nikolaus Barth:
Jetzt müssen wir uns, bevor wir uns mit den Gründen für die künftige Entwicklung unterhalten, noch mal ganz kurz mit der Vergangenheit beschäftigen. Zum einen, wenn ich dir jetzt genau zugehört habe, mit der Einteilung, Alte Welt und neue Welt, die du ja erlebt hast, das waren eigentlich Phasen in deiner Karriere, wo die Zinsen gefallen sind, größtenteils. Was waren, wenn wir nochmal die letzten Jahrzehnte an den Zinsmärkten Revue passieren lassen, denn jetzt die Höhepunkte und die wichtigsten Erfahrungen, die du erlebt hast, die vielleicht auch die Lehren für die Zukunft wiedergeben?
Michael Rottmann:
Das ist eine interessante Frage und ich gehe jetzt sehr, sehr weit zurück. Für mich das Wichtigste hier, was uns im Euroraum angeht ist dieses, unbedingte Commitment der europäischen Politik und die Älteren von uns können sich noch sehr gut an die europäischen Währungskrisen zwischen 1992 und 1994 erinnern.
Nikolaus Barth:
Hol uns da ganz kurz vielleicht mal ab, so eine klassische Währungskrise war, da waren die Währungen innerhalb Europas ja noch schwankend und das heißt es gab starke Abwertungen einzelner Währungen wie beispielsweise.
Michael Rottmann:
Ja, genau und Ich erkläre es ein bisschen im Detail. Viele europäische Währungen waren ja in dieser sogenannten Währungsschlange miteinander verknüpft. Das heißt, die Währungen konnten untereinander nur innerhalb einer relativ engen Bandbreite schwanken. Beginnend in 1992 kam es zu spekulativen Angriffen auf diese Währungsschlange. In der Konsequenz verließ das britische Pfund im September 1992 die Währungsschlange. Und auch, du hast es erwähnt, die italienische Lira folgte nur wenige Tage später und ging in den freien Float über. Viele Regierungen zögerten natürlich, diesen Wechselkursmechanismus aufzugeben, weil er als Voraussetzung für die Teilnahme an der zukünftigen Währungsunion galt.
Im Sommer 1993, und das war der Knackpunkt, geriet auch der französische Franc unter Druck. Um einen Systemkollaps zu verhindern, beschlossen nun die Finanzminister und Notenbanken eine dramatische Ausweitung dieser festen Wechselkursbandbreiten von plus/minus 2,25 Prozent auf plus/minus 15 Prozent. Dies erlaubte eine gewisse Flexibilität, beruhigte die Märkte und der Spuk war vorbei.
Gerade die Jahre zwischen 1995 und Euro-Einführung in 1999 waren von den europäischen Konvergenz-Trades gekennzeichnet. Das ist ein Investment auf eine Einengung der Zinsdifferenzen von langfristigen Renditen – sagen wir mal von italienischen Staatsanleihen gegenüber deutschen Staatsanleihen. War eine der attraktivsten Investmentideen in diesem Zeitraum, wenn man sich klar war über dieses extrem starke europäische politische Commitment. Die Zinsdifferenz zu Beginn 1995 zwischen Italien und Deutschland betrug volle sechs Prozentpunkte, um bei Euro-Einführung auf nahezu Null zu fallen. Also, ein ganz satter Gewinn von 650 Basispunkten. Und das erzählt uns auch die Bottomline: Politisches Commitment besteht – und das tut es ohne Zweifel im Euroraum – dann können viele Probleme überwunden werden.
Das kam zum Tragen während der europäischen Staatsschuldenkrise in 2011. Das politische Commitment, anders als viele namhafte amerikanische Ökonomen vermuteten, war extrem stark. Und die Krise konnte überwunden werden – explizit unter der Regie der Europäischen Zentralbank. Wir erinnern uns noch sehr, sehr gut an dieses legendäre "Whatever it takes" vom damaligen EZB-Chef Mario Draghi.
Und wer eben diese Botschaft aus 1992 und 1993 im Kopf hatte, der konnte zu dem Zeitpunkt sagen: Hoppla, zehnjährige italienische Staatsanleihen notierten zur Spitze der Krise um volle 5,5 Prozentpunkte oberhalb von deutschen Staatsanleihen. Heute liegt diese Zinsdifferenz bei einem Prozentpunkt. Also erneut ein ganz, ganz massiver, satter Gewinn – und auch eben die Lehre: Wir sollten nie das politische Commitment der Europäer unterschätzen, was immer auch in der Zukunft passieren wird. Also Europa, die Zukunft und "whatever it takes", auch die Lehren aus der Vergangenheit aus den 90er Jahren, was Europa dort durchgemacht hat.
Nikolaus Barth:
Jetzt haben wir die Vergangenheit kurz beschrieben. Und du hast jetzt auch sehr schön noch einmal beschrieben, was deine zentrale Erfahrung daraus war. Für mich als Anleger ist es natürlich wichtig, zum einen die Vergangenheit zu kennen. Aber es ist wichtiger, daraus die Lehren zu ziehen und den Blick in die Zukunft zu wagen. Lass uns den jetzt gemeinsam wagen. Dich beschäftigt ja, genau wie mich – ich denke auch wie viele von Ihnen, die uns jetzt zuhören – das Thema Künstliche Intelligenz.
Das ist mehr oder minder allgegenwärtig und in seiner Gesamtheit aktuell kaum einschätzbar. Jeden Tag eine neue Nachricht. Wenn man sich damit beschäftigt, jeden Tag eine neue Entwicklung. Wie könnte Künstliche Intelligenz denn die Zinsentwicklung in den kommenden Jahren beeinflussen?
Michael Rottmann:
Das ist wichtig, dass du mir die Frage stellst. Weil dieses Thema habe ich in meiner bisherigen Aufzählung von Ereignissen überhaupt nicht erwähnt. Und ich kann mich an kein anderes Ereignis in meinem Leben erinnern, das so bedeutend und zugleich auch tatsächlich zeitnah erkennbar war. Die Akzeptanz und Nutzung Künstlicher Intelligenz, dieser Large-Language-Modelle, skalierte wie nicht zuvor. Und von daher, mit dieser Wahrnehmung war die Portfolioausrichtung in 2023 und 2024 keine Quantenphysik oder Hexerei – was Aktien angeht. Wenn es aussieht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente und quakt wie eine Ente, dann ist es wahrscheinlich auch eine Ente. Übersetzt auf den Aktienmarkt: Alles, was redet, läuft und riecht wie Künstliche Intelligenz, war seinerzeit ein Kauf.
Nun, welchen Einfluss wird das Thema auf die Zinsmärkte haben? Die Hoffnung bezieht sich ja zunächst auf Produktivitätsgewinne der Unternehmen. Hohe Investitionen in Künstliche Intelligenz – jetzt – höhere Produktivität in der Zukunft bedeutet höheres Wachstum, erlaubt höhere Zinsen. Soweit, so gut. Ich stelle jetzt persönlich Volkswirten gerne die Frage, wie deflationär denn eigentlich Künstliche Intelligenz wirken könnte. Mein Gedanke im Hinterkopf: Werden White-Collar-Jobs bzw. Laptop-Jobs in einem Umfang reduziert, der tatsächlich durch neue Jobs aufgefangen und kompensiert werden kann? Nun, ich denke mal, die kommenden fünf Jahre werden uns da mehr Gewissheit bezüglich dieser Fragestellung geben. Und hierbei gehen wir ja noch gar nicht auf so Dinge ein wie meinetwegen autonomes Fahren, Roboter getrieben von einer Künstlichen Intelligenz – und wie sich die Gesellschaft insgesamt verändern wird oder verändern muss. Derzeit würde ich denken, Künstliche Intelligenz wird das Zinsniveau eher ein Stückchen nach oben treiben.
Nikolaus Barth: Nach oben?
Michael Rottmann: Nach oben.
Nikolaus Barth:
Jetzt haben wir noch ein paar andere Megatrends, die wir aktuell an den Märkten sehen. Man spricht ja auch von den 4Ds: die Digitalisierung – ich setze es jetzt nicht gleich mit Künstlicher Intelligenz, aber es ist zumindest ein großer Teil davon – dann haben wir die Dekarbonisierung, die Demografie und die Deglobalisierung. Die sehen wir auch fast täglich von Donald Trump betrieben aktuell. Wie werden denn die anderen drei Ds auf die Zinsen wirken? Sind die dann auch nach oben treibend oder eher senkend?
Michael Rottmann:
Teils, teils – muss man unterscheiden. Ich greife mal dein erstes D auf: die Dekarbonisierung. Kurz und knapp – mehr Investitionen, eher zinssteigernd. Deglobalisierung – in meinen Augen: weniger Wachstum, mehr Inflation. Aber Deglobalisierung bedeutet auch Homesharing, Friendsharing, Nearsharing – wie immer du es nennen willst. Also die Lieferketten näher an daheim zu bringen, was dann wiederum je nach Region höhere Investitionen bedeutet. Von daher ein bisschen zweischneidig, aber per saldo vielleicht auch eher eine Tendenz in Richtung höherer Zinsen.
Rückläufige Demografie bedeutet zunächst weniger Wachstum. Dazu kommt eine immer größer werdende Zeitspanne zwischen deinem persönlichen Renteneintrittsalter und der Lebenserwartung. Dies erhöht deinen privaten Sparbedarf – also Nachfrage nach Assets, unter anderem nach festverzinslichen Wertpapieren – somit eher die Zinsen nach unten drückend. Wann aber beginnt die Zeit des Entsparens und kehrt diesen Effekt ins Gegenteil um? Und um die Verunsicherung auf die Spitze zu treiben: Wir haben in nicht allzu ferner Zukunft vielleicht AI-Agents – also Künstliche Intelligenz-Agents – die 24/7 arbeiten, ohne Forderung von Überstundenbezahlung, Lohnerhöhung und und und. Also kein Mangel an Arbeitskräften mehr. Was bleibt dann eigentlich noch vom demografischen Aspekt? Von daher: Demografie – würde ich mich nicht auf eine klare Richtung festlegen wollen.
Nikolaus Barth:
Was bedeutet das insgesamt für dich – und was ist dein Fazit daraus?
Michael Rottmann:
Lass mich vielleicht mit deiner persönlichen Meinung schließen – die auch mit unseren offiziellen Prognosen voll im Einklang steht. Die Zinslandschaft ist von immenser Unsicherheit begleitet – sei es Künstliche Intelligenz oder, wie von dir angesprochen: Digitalisierung, Demografie, Dekarbonisierung. Also keine Rückkehr in die neue Null-Prozent-Welt, in meinen Augen. Vielmehr ein Gleichgewicht, das für zehnjährige deutsche Staatsanleihen in den kommenden anderthalb Jahren im weitesten Sinne zwischen zwei und drei Prozent liegen könnte. Die Risikosymmetrie allerdings – die ist nach meinem Dafürhalten eher nach oben geneigt. Und dies gilt ganz, ganz explizit für den Fall, dass Deutschland und der Euroraum beginnen, im kommenden Jahr dann ihre PS auch tatsächlich auf die Straße zu bringen.
Nikolaus Barth:
Was wir heute tun wollten: Wir wollten Sie zum Nachdenken über die Zinsentwicklung anregen. Und Sie haben jede Menge Tipps und jede Menge Hinweise bekommen, was denn in der Zukunft passieren kann – nicht muss. Die Zukunft ist ja unsicher. Und deswegen danke ich dir an dieser Stelle, lieber Michael Rottmann. Ich nenne dich ja nicht nur Zinsexperte, sondern Zinsguru, weil du mich zumindest immer dazu anregst, über langfristige Entwicklungen nachzudenken und dabei auch die Vergangenheit ein Stück weit in meine Gedanken einfließen zu lassen. Danke Michael, dass du heute da warst.
Wir freuen uns sehr über Ihr Feedback und natürlich auch Ihre Fragen. Senden Sie uns diese doch gerne per E-Mail unter markt-briefing@unicredit.de. Und natürlich freuen wir uns auch, wenn Sie das HVB Markt-Briefing weiterempfehlen und abonnieren – überall dort, wo es gute Podcasts gibt.
Freuen Sie sich mit mir auf ein Wiederhören mit Titus Kroder, Andreas Rees, Philipp Gistakis und Christian Stocker – und vielen spannenden Themen. Und wir hören uns, wenn Sie mögen, auch wieder bei einer nächsten Gelegenheit. Und Sie wissen ja: Das HVB Markt-Briefing steht unter dem Motto Mitdenken für kluge Köpfe.
Wir danken Ihnen heute fürs Zuhören und fürs Mitdenken. Wir verabschieden uns jetzt von Ihnen.
Ihr Nikolaus Barth und Michael Rottmann.