Zoll-Schock: Wie stark beschädigt Trump die Weltwirtschaft?
+++ Märkte: Wie rasch stecken die Börsen den Schreck weg?
Donald Trump:
We are going to start being smart and we are gonna start being very wealthy again. Jobs and factories will come roaring back into our country and you see it happening already. This will be indeed the golden age of America, it's coming back. We're gonna come back very strongly.
Nikolaus Barth:
Ich darf Sie sehr herzlich begrüßen zur neusten Ausgabe des HVB Marktbriefings. Neu ist heute auch der Moderator. Mein Name ist Nikolas Barth. Ich bin Wertpapier- und Börsenexperte bei der HVB.
Wir müssen reden – über Donald Trump und die Zollpolitik und die Folgen für die Weltwirtschaft. Und wir müssen natürlich auch reden über die Aktienmärkte und die starken Kursverluste der letzten Tage. Und ich könnte mir dazu keine besseren Gesprächspartner vorstellen als Andreas Rees – wer Ihnen allen bekannt ist als Chefvolkswirt der HypoVereinsbank in Deutschland – und Christian Stocker, unser Chef-Aktienstratege. Hallo zusammen.
Andreas Rees:
Hallo Nikolaus. Hallo, grüß euch.
Christian Stocker:
Hallo zusammen.
Nikolaus Barth:
Und bevor wir jetzt direkt anfangen, noch ein kleiner Hinweis: Aktuell ist die Weltlage ja recht dynamisch. Wir haben diesen Podcast zur Mittagszeit am 4. April aufgezeichnet. Das heißt, wir können nur bis dahin die aktuellen Geschehnisse bewerten.
Wenn ich euch beide jetzt so dabei habe, dann die Anfangsfrage mal: Wie viel Erfahrung sitzt mir heute eigentlich gegenüber, wie viel Berufserfahrung habt ihr beide eigentlich – in Jahren gemessen?
Andreas Rees:
Also bei mir wären es jetzt 28 Jahre.
Christian Stocker:
Ja, und bei mir wären es knapp 35 Jahre inzwischen.
Nikolaus Barth:
Gut, also da sind weit über 50 Jahre Berufserfahrung. Habt ihr eine vergleichbare Situation in den letzten 50 Jahren – ich summiere es jetzt einfach mal – erlebt?
Andreas Rees:
Ne, also natürlich – mittlerweile, da war schon die ein oder andere Krise. Ich denke an die Euro-Krise, ich denke an die globale Finanzmarkt-Krise. Dann hatten wir das Platzen der Hightech-Blase Anfang der 2000er Jahre – da kann Christian viel, viel mehr dazu erzählen. Aber ne, sowas in der Art, das habe ich nicht erlebt.
Christian Stocker:
Ja, ich kann zu der Aufzählung noch den Crash in Japan vor 2000 hinzufügen, aber … vom Ausmaß her – 10 Prozent in zwei Tagen – das ist schon eine Hausnummer, die man relativ selten sieht.
Nikolaus Barth:
Darüber sprechen wir gleich, Christian. Wir wollen mit Andreas anfangen. Und ich hab's ja schon eingangs gesagt – wir haben es auch von Donald Trump gehört, was er alles versprochen hat – wir müssen über die Zollpolitik reden. Es war ja sehr überraschend, was da diese Woche an Ankündigungen kam.
Wobei – wenn man es genau nimmt, so überraschend war es gar nicht. Vieles war erwartet. Ich glaube, die Höhe war dann das, was überraschend war – und wie es kam. Andreas, wenn du jetzt die Auswirkungen dieser Zollerhöhung von Trump mit einem Satz beschreiben müsstest, was würde dir einfallen?
Andreas Rees:
Ja Nikolaus, du kennst mich ja. Also einen Satz, das schaffe ich nie. Aber wenn ich es jetzt wirklich versuchen müsste, auf einen kurzen Nenner zu bringen, dann sage ich das mal so: Es ist kein ökonomischer Weltuntergang, den wir da erlebt haben, aber es ist wirklich schon ein heftiger Einschnitt.
Es ist eine XXL-Zollerhöhung, was du gerade schon gesagt hast. Und wenn man sich mal die Größenrelationen anschaut: Der durchschnittliche Zollsatz der USA steigt auf 22, 23 Prozent. Das ist das höchste Niveau seit mehr als 100 Jahren. Also das ist schon ein Wort.
Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr, da lagen wir bei einem durchschnittlichen Zollsatz so von rund zweieinhalb Prozent. Also das ist ein Schock – für die Wirtschaft in den USA, aber natürlich auch für die Länder, dessen Unternehmen in die USA exportieren.
Was man jetzt allerdings auch nicht vergessen darf: Wir wissen im Moment nicht, was dann am Ende tatsächlich von dieser XXL-Zollerhöhung übrig bleibt, was da stehen bleibt. Sie tritt jetzt natürlich in Kraft, aber die Trump-Administration hat ausdrücklich auch Verhandlungen darüber angeboten.
Also es ist die typische Trump-Strategie: Länder unter Druck setzen und versuchen, etwas auszuhandeln.
Aber um das abzuschließen: Ich habe ein treffendes Zitat gefunden von Paul Krugman, einem sehr bekannten Ökonomen, Nobelpreisträger. Paul Krugman hat gesagt, dass Handelskriege Konflikte sind, in denen jede Seite den Großteil ihrer Munition dazu verwendet, sich selbst ins Knie zu schießen. Und ich finde, das bringt das Ganze schon auf den Punkt.
Nikolaus Barth:
Autsch, sage ich da. Und wenn wir die aktuelle Reaktion der Aktienmärkte sehen, dann scheint es ja global zumindest viele Verlierer zu geben – von daher scheint das Zitat zu passen.
Du hast im letzten Podcast gesagt, Andreas, dass Trump immer mehr zu einer Gefahr für die US-Wirtschaft wird. Und wenn wir nochmal nachhören wollen, was du gesagt hast, dann empfehle ich den Podcast von vor zwei Wochen.
Kommt jetzt die Rezession in den Vereinigten Staaten?
Andreas Rees:
Ja, wir sehen natürlich schon die Abwärtsrisiken für die amerikanische Wirtschaft. Und wir werden unsere Wachstumsprognose für die USA schon ganz ordentlich nach unten nehmen.
Unser Basisszenario ist aber nach wie vor, dass wir keine Rezession bekommen. Also: schwächeres Wachstum, aber keine Wirtschaft in den USA, die dauerhaft und stark schrumpfen wird.
Und ein wichtiger Grund dafür sind die Steuersenkungen, die wir wahrscheinlich im weiteren Jahresverlauf kriegen werden. Aber die Risiken sind da.
Und es ist auch ein Wettrennen, was wir gerade erleben: die höheren Zölle, die jetzt greifen – oder zumindest teilweise – und die niedrigeren Steuern, die noch kommen.
Also Nikolaus, du hast das Rezessionsrisiko angesprochen. Aufgrund dieser doch sehr, sehr starken Zollerhöhung – da würde ich jetzt eher von einem Stagflationsrisiko sprechen. Also das Risiko, dass die Wirtschaft in den USA nicht mehr wächst und sich gleichzeitig die Inflation beschleunigt.
Nikolaus Barth:
Über Inflation müssen wir gleich nochmal sprechen. Wir haben jetzt gehört: Also, Rezession als Gefahr möglich, aber eher ein sehr niedriges Wachstum. Davon hat Donald Trump ja nicht gesprochen, was wir am Anfang gehört haben. Er hat es ja anders erwartet. Er hat das „goldene Zeitalter“ für die USA mehr oder minder angekündigt. Bricht das jetzt nicht an?
Andreas Rees:
Ne, also das sehe ich jetzt wirklich nicht. Kein goldenes Zeitalter für die USA. Und ich sehe das deshalb nicht, weil der Handel mit Gütern zwischen Ländern anders funktioniert, als sich das Donald Trump so vorstellt.
Trump, der denkt so in der Kategorie eines Nullsummenspiels. Also: Wenn ich einem anderen Land was wegnehme oder das Land bestrafe, dann geht es den USA besser. Und das stimmt so nicht.
Auch die Amerikaner werden dabei verlieren, weil eben die Inflation steigen wird. Andere Länder werden auch mit Gegenmaßnahmen reagieren, so wie zum Beispiel China.
Und natürlich wird es auch ausländische Unternehmen geben, die wegen der höheren Zölle in den USA investieren werden – das stelle ich gar nicht in Frage. Aber das wird viele Jahre dauern, bis dann die neue Fabrik steht.
Und vor allem – das ist ganz wichtig – auch die amerikanischen Unternehmen sind natürlich von den höheren Zöllen über ihre Lieferketten betroffen. Also zum Beispiel die amerikanischen Autounternehmen: Die beziehen mehr als die Hälfte ihrer Vorprodukte aus dem Ausland, und auch die werden natürlich davon betroffen sein.
Nikolaus Barth:
Du hast jetzt zweimal die höhere Inflation schon angesprochen. Kannst du uns den Inflationskanal einmal beschreiben? Also: Auf welche Indikatoren sollte ich als Anleger achten?
Andreas Rees:
Also eigentlich ist es wirklich einfach. Dadurch, dass so viele Länder und Sektoren gleichzeitig von den höheren Zöllen betroffen sind, steigt das Risiko, dass die ausländischen Unternehmen einen Großteil der höheren Zölle dann an den amerikanischen Verbraucher überwälzen.
Denn es sind eben viele oder fast alle Exporteure davon betroffen. Und dann muss man eben nicht mehr nach links und nach rechts schauen, was die Konkurrenz macht, sondern man überwälzt das an den Konsumenten.
Und davon sind eben viele Güter und Lieferketten betroffen – angefangen von Nahrungsmitteln, Kaffee bis hin zu Smartphones und Tablets.
Und gerade wenn ich mir das so anschaue im Technologiebereich – da ist die Gefahr von Preissteigerungen sehr groß, weil viele multinationale amerikanische Unternehmen Lieferketten aufgebaut haben nach China, Taiwan, Vietnam und so weiter. Und da sind eben die Zollerhöhungen sehr, sehr stark ausgefallen.
Jetzt noch die Frage, Nikolaus: Du hast gefragt, auf welche Indikatoren soll man als Anleger schauen?
Also alles, was mit Inflation zu tun hat: Umfragen unter Unternehmen, Privathaushalten in den USA, bei denen Inputpreise und Inflationserwartungen abgefragt werden. Auch Importpreise natürlich.
Also die Finanzmärkte, die werden jetzt in den nächsten Wochen und Monaten jeden dieser Indikatoren genau anschauen. Da wird jetzt jeder Stein umgedreht und das wird im Fokus stehen.
Nikolaus Barth:
Das heißt, auf diese Indikatoren sollte ich achten, muss ich achten. Wenn ich eure Publikationen lese oder das HVB-Marktbriefing natürlich verfolge, bin ich natürlich immer auf dem aktuellsten Stand – auch was das betrifft.
Jetzt haben wir über Inflation geredet. Und wenn wir über Inflation sprechen, dann ist die Zentralbank ja nie weit. Die muss im Grunde genommen über die Inflation machen, beziehungsweise hat sie ja auch die Aufgabe, dies im Zaum zu halten.
Jetzt blicken wir erstmal nach Amerika. Was macht die Federal Reserve? Kommt es jetzt zur Machtprobe zwischen dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump, auf der einen Seite und Powell auf der anderen Seite?
Andreas Rees:
Also wenn ich ganz ehrlich bin, ich möchte nicht unbedingt in der Haut von der FED stecken, weil die FED befindet sich wirklich in der schlechtesten aller Welten.
Also da sind wir wieder beim Stichwort „Stagflationsrisiko“. Auf der einen Seite ist das Risiko eben hoch, dass die Inflation steigt – das spricht für Zinserhöhungen.
Auf der anderen Seite verliert die Konjunktur wahrscheinlich an Fahrt. Also eigentlich müsste man dann doch wieder die Zinsen senken – zumal der amerikanische Leitzins relativ hoch liegt, bei viereinhalb Prozent.
In unserem Basisszenario – da denken wir, die FED wird sich weiter eingraben und die Leitzinsen erst einmal unverändert lassen.
Aber wenn das stimmt, dann kommt es eben wahrscheinlich auch zum Streit zwischen der FED und Trump.
Nikolaus Barth:
Weil Trump dann niedrigere Zinsen fordert.
Andreas Rees:
Ja, genau. Und wenn die FED nicht liefert, dann glaube ich, dann steigt der Druck im Kessel.
Nikolaus Barth:
Kommen wir von Amerika zu Europa. Wir haben schon erlebt an den Aktienmärkten, dass die Folgen ja global sind, alle Aktienmärkte gehen runter. Was sind aber jetzt die volkswirtschaftlichen Folgen für Europa aufgrund der aktuellen Zollmaßnahmen der Amerikaner?
Andreas Rees:
Wenn es jetzt bei den Zöllen bleiben sollte – also wir reden im Konjunktiv, aber nehmen wir das mal an –, das sind für die Europäische Union 20 Prozent, dann wird es natürlich die Exporte von europäischen Unternehmen belasten. Zehn Prozent der deutschen Exporte gehen in die USA.
Aber was die Belastung von den höheren Zöllen abfedern könnte – das eine habe ich schon genannt –, also die Unternehmen, denke ich, werden auch ganz gut erfolgreich sein, die höheren Zölle auf die amerikanischen Konsumenten überwälzen zu können.
Und das andere ist: Es gibt ja gerade, wenn man sich Deutschland anschaut, die deutschen Unternehmen, die haben viel an Produktionskapazitäten direkt in den USA aufgebaut – gerade in den letzten Jahren, aber schon Jahrzehnten, im Bereich Automobil- und Chemiebranche zum Beispiel. Also das wird sicherlich helfen.
Dann haben wir aber auf der anderen Seite zwei negative Effekte, das muss man auch berücksichtigen:
den stärkeren Euro, was wir zuletzt erlebt haben, das belastet wiederum die Exporte von Deutschland und auch anderen europäischen Ländern
und was man auch so ein bisschen, glaube ich, im Blickfeld behalten sollte: Es könnte auch sein, dass die chinesischen Produzenten stärker nach Europa drängen. In den USA wird ja der Absatz jetzt schwieriger, und dann könnte China versuchen, seine Produkte noch stärker in der EU zu verkaufen.
Also in den nächsten Monaten, wenn man sich das mal wirklich gesamtwirtschaftlich anschaut für Deutschland: Wir werden es schwer haben, von der Stelle zu kommen. Wenn man dann ins nächste Jahr hineinblickt: Ich denke, dann wird es etwas besser werden. Dann wird sich allmählich die fiskalische Bazooka bemerkbar machen, und dann wird sich auch die Konjunktur beleben. Aber das braucht halt noch ein bisschen Zeit.
Nikolaus Barth:
Und jetzt hast du den Rahmen für Europa beschrieben. Wir haben jetzt nicht über Inflation gesprochen, wir haben aber schon über die Federal Reserve und deren Reaktion gesprochen. Was erwartest du dir denn jetzt von der EZB? Und vielleicht noch hinzugefügt: Musst du ja auch die Inflation dann weiter beobachten?
Andreas Rees:
Ja, natürlich macht das die EZB. Ich denke, die Wahrscheinlichkeit, dass wir eine Zinssenkung wieder um 25 Basispunkte sehen werden – bereits nächste Woche – die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Und vermutlich kommt auch im Juni noch eine weitere Zinssenkung, dann noch einmal um 25 Basispunkte, und dann hätten wir vor der Sommerpause einen Leitzins von 2 Prozent.
Und was du gerade angesprochen hast: Ich würde es eher umdrehen. Tendenziell die Inflationsrisiken – vor dem Hintergrund des stärkeren Euros, der die Importpreise auch dämpft – da könnte ich mir eben vorstellen, dass die EZB weiter senken wird.
Und wir haben natürlich auch das Risiko etwas schwächerer Konjunktur, zumindest in Europa. Auch das spricht dann für weitere Zinssenkungen.
Nikolaus Barth:
Wenn ich jetzt die Schlagzeilen der letzten Tage oder Stunden lese, dann fällt mir natürlich auf, dass viele jetzt eine deutlich härtere Gangart der Europäischen Union gegenüber den Vereinigten Staaten fordern. Also zum Beispiel eine Digitalsteuer auf amerikanische Technologiekonzerne. Die exportieren ja klassischerweise nicht, sondern die bieten vor allem Dienstleistungen an. Findest du das, Andreas, denn eine gute Idee?
Andreas Rees:
Nein, also da spreche ich jetzt wirklich für mich selbst, meine persönliche Meinung: Das halte ich wirklich für gar keine gute Idee.
Ich verstehe natürlich die Frustration mit Trump, kann ich sehr, sehr gut nachvollziehen. Und ich verstehe auch, wenn man argumentiert und sagt, dass der Versuch, Trump zu besänftigen, bislang wirklich überhaupt nicht funktioniert hat.
Aber jetzt im Umkehrschluss daraus zu machen, dass wir Steuern oder Zölle auf Dienstleistungen von amerikanischen Technologieunternehmen erheben – also das finde ich schon wirklich gefährlich, brandgefährlich.
Denn die Europäische Union ist bei den digitalen Schlüsseltechnologien – wie Cloud, Software, Netzwerken und so weiter – zu 80 Prozent auf das Ausland angewiesen. Und mit Ausland, das ist faktisch die USA.
Und wenn wir jetzt hier Zölle erheben oder erhöhen oder Steuern – wir würden dann am Ende nicht den amerikanischen Unternehmen wehtun, sondern uns selbst, durch die höheren Preise.
Also wir würden im Prinzip genau in die gleiche Falle laufen wie Donald Trump. Wir Europäer müssten am Ende mehr bezahlen.
Und außerdem, wenn ich mir die ganze Situation jetzt anschaue, auch mit der fiskalischen Bazooka: Wir müssen ja auch unsere Cybersecurity stärken in Europa in den nächsten Jahren, um gegen mögliche Bedrohungen gewappnet zu sein. Und dabei brauchen wir insbesondere auch die amerikanischen Technologieunternehmen. Und die würde ich nicht vergraulen wollen.
Nikolaus Barth:
Also sehr viele Herausforderungen in diesem Gebiet, und in dem Fall wäre es eine schlechte Idee, auf eine Digitalsteuer oder was auch immer als Strafmaßnahme zu setzen. Sondern wir haben eine gewisse Abhängigkeit, die wir auch in der näheren Zukunft haben werden. Und von daher müssen wir auf diese Unternehmen setzen.
Nikolaus Barth:
Christian, wir haben jetzt sehr viel über den Rahmen, so möchte ich es mal nennen, gesprochen – den volkswirtschaftlichen Rahmen, wie die Zölle wirken, was für Folgen zu erwarten sind. Kommen wir mal zu den Aktienmärkten und zu der Unternehmersicht. Wir haben jetzt ein Zollbeben erlebt – zumindest haben das die Schlagzeilen gezeigt. Wir haben sehr ordentliche, das hast du schon am Anfang gesagt, Kursverluste weltweit gesehen – zehn Prozent, teilweise mehr. Wie viel an negativer Reaktion haben die Aktienmärkte denn jetzt aktuell schon mit diesen Kursreaktionen eingepreist?
Christian Stocker:
Ja, Nikolaus, das Worst-Case-Szenario in meinen Augen, das liegt jetzt auf dem Tisch.
Das, was jetzt die nächsten Wochen, die nächsten Monate bestimmend sein wird, das sind mögliche Verhandlungen, mögliche Lösungen. Man kann aus heutiger Sicht natürlich nie sagen, ob das noch weiter eskaliert. Rational wäre es nicht. Aber in dieser jetzigen hochexplosiven Stimmung ist es natürlich schwierig, von Rationalität zu sprechen.
Aber schauen wir uns mal die Fakten an:
Die Kurse sind in den USA von Mitte Februar bis aktuell um knapp 15 Prozent gefallen.
In der Vergangenheit waren in Rezessionsphasen in den letzten 50 Jahren im Durchschnitt Kursverluste auf dem S&P 500 zu sehen – zwischen 15 und maximal 20 Prozent.
Das heißt, wir haben hier schon einen wirklich großen, großen Teil der potenziellen Kursverluste im Falle einer Rezession, die wir ja nicht erwarten, inzwischen eingepreist.
Es ist nie auszuschließen, dass wir nochmal ein paar Prozentpunkte verlieren. Aber aus heutiger Sicht würde ich sagen: Wir sind weitestgehend durch das größte Schlamassel – kursmäßig gesehen – hindurch.
Wir werden uns die kommenden Wochen, die kommenden Monate stabilisieren – unter hoher Volatilität. Und Volatilität bedeutet nicht nur fallende Kurse, es bedeutet auch steigende Kurse. Wir werden bis in den Sommer hinein sehr hohe Schwankungen in beide Richtungen sehen.
Und warum bin ich jetzt so optimistisch, würde ich fast schon sagen, dass wir eine Stabilisierung sehen werden – wie wir gerade vom Andreas gehört haben?
Wir werden zum einen Steuersenkungen bekommen in den USA. Das wird stabilisieren.
Wir werden von der Notenbankpolitik in Europa auf jeden Fall weitere Zinsschritte sehen.
Höchstwahrscheinlich wird auch von der FED ein Zinsschritt kommen in diesem Jahr.
Und wenn die Konjunktur in den USA unerwartet schwach sein sollte, dann gibt es ja immer noch den sogenannten FED-Put, weil die große Aufgabe der FED ist es ja, den Arbeitsmarkt zu stabilisieren, beziehungsweise stabil zu halten.
Und das ist in der Regel immer eine sehr gute Unterstützung für die Aktienmärkte.
Nikolaus Barth:
Du hast jetzt schon sehr viel von Amerika gesprochen. Gilt das denn eins zu eins jetzt auch für Europa? Oder wie stark ist jetzt die Abhängigkeit der europäischen Aktienmärkte von den amerikanischen? Die konnten sich ja im ersten Quartal sehr unterschiedlich entwickeln – also positiver die europäischen statt die amerikanischen.
Christian Stocker:
Aber man muss schon so sehen: Der US-Aktienmarkt ist die Benchmark global. Langfristig können sich die globalen Aktienmärkte nicht von den USA abkoppeln. Es geht in der Regel in die gleiche Richtung.
Von der prozentualen Veränderung her kann sich der Aktienmarkt schon abkoppeln – wie wir auch jetzt in den ersten drei Monaten gesehen haben. Europa, die Emerging Markets, die haben sich deutlich besser entwickelt als die USA – eben schon im Vorfeld dieser Zolldiskussionen, wo wir jetzt eben die Fakten auf den Tisch bekommen haben.
Das heißt, in diesem Umfeld ist es auch extrem wichtig, dass sich die USA stabilisieren – für Europa.
In Europa ein stabilisierender Faktor sind sicherlich die geplanten fiskalpolitischen Maßnahmen, die erhöhten Ausgaben für Verteidigung. Das ist im positiven Sinne ein dämpfender Effekt auf die negativen Entwicklungen.
Aber komplett abkoppeln wird sich die europäische Börse nicht können.
Nikolaus Barth:
Du hast ja schon gesagt, was du für die kommenden Monate erwartest – volatil seitwärts, einfach übersetzt. Du hast im HVB-Marktbriefing ja auch deine Ziele für das Jahresende bekannt gegeben. Wird sich da jetzt etwas ändern oder muss man die nächsten Tage, die nächsten Wochen einfach vorsichtig überwachen, was an den Aktienmärkten passiert?
Christian Stocker:
Ja, wir rechnen gerade mit einem etwas spitzeren Bleistift die Kursziele durch. Sie werden, kann man jetzt schon sagen, niedriger liegen zum Jahresende, als wir es noch letzte Woche erwartet hatten.
Um wie viel genau, kann ich noch nicht sagen. Da werden wir uns noch ein paar Tage Zeit nehmen müssen, bis wir auch ein bisschen mehr die Einschätzungen teilen können. Aber sie werden niedriger sein.
Unter dem Strich werden sie aber – ich lege mich jetzt mal fest – acht bis zehn Prozent höher sein als die aktuellen Niveaus bis zum Jahresende. Also ein positives Kursziel aus heutiger Sicht.
Nikolaus Barth:
Also du bleibst konstruktiv – wenn nicht sogar positiv – für die Aktienmärkte. Wir werden das Tal auch wieder durchschreiten und zumindest neue Höhen erreichen. Ob es dann neue Kursgipfel sind, werden wir sehen.
Was bedeutet denn das aktuelle Umfeld jetzt für die Unternehmensgewinne? Werden die darunter leiden und damit natürlich auch die Bewertungen an den Börsen? Was erwartest du dafür?
Christian Stocker:
Es ist natürlich ein wirklich heftiger Einschnitt in den Handelsbeziehungen. Und für dieses Jahr, für 2025, rechne ich wirklich mit heftigen negativen Revisionen bei den Unternehmensgewinnerwartungen.
Das heißt: Zum Jahresende 2025 wird das Unternehmensgewinnniveau – sowohl in Europa als auch in den USA – deutlich niedriger liegen, als wir noch vor einer Woche erwartet hatten.
Aber: 2026, 2027 erwarten wir uns ja wieder einigermaßen gut wachsende Wirtschaften, ein besseres Konjunkturumfeld.
Und da werden die Unternehmensgewinne aus heutiger Sicht sich wieder normalisieren. Und das normale durchschnittliche Wachstum von sieben bis acht Prozent, vielleicht werden es auch zehn Prozent – das ist dann schon wieder zu erwarten, von einem natürlich niedrigeren Niveau aus.
Das heißt, das, was die Aktienmärkte jetzt einpreisen: Das ist ein sehr schwierig einzuschätzendes, sehr belastetes Jahr 2025, auf das wir dann aber 2026, 2027 wieder aufbauen können.
Und wie wir alle wissen: Die Börse handelt die Zukunft. Das heißt, in den kommenden Monaten wird der Blick immer stärker in das Jahr 2026 gerichtet werden.
Und 2026 haben wir – wie ich gerade vorhin gesagt habe – wieder ein deutlich besseres konjunkturelles Umfeld, ein deutlich besseres Umfeld für die Unternehmensgewinne.
Und das wird in diesem Jahr, spätestens im Sommer, denke ich, wieder zu steigenden Kursen führen.
Nikolaus Barth:
Müssen wir also aufpassen, dass wir den Umschaltknopf rechtzeitig finden, wann es wieder nach oben geht und wann die Zukunft, also 2026, die dominierende Rolle spielt.
Eine letzte Frage noch – und die Frage betrifft die relative Attraktivität der unterschiedlichen Regionen. Jetzt haben wir in der Vergangenheit ganz häufig die Situation gehabt, dass ja Amerika, was die Aktienmärkte betrifft, dominiert hat, also die Kurse sind dort stärker gestiegen als beispielsweise in Europa oder auch an den Schwellenländern. Wird sich durch die aktuelle Situation deiner Einschätzung nach hier etwas ändern? Werden andere Regionen attraktiver dadurch?
Christian Stocker:
Diese außergewöhnliche Entwicklung in den USA, die wir die letzten zwei Jahre hatten – mit den Wachstumsaktien, die hier extrem stark zu den Gewinnen beigetragen haben –, das hat einen sehr, sehr starken Schlag bekommen natürlich.
Das heißt: Die USA werden mit deutlich kritischeren Augen betrachtet aktuell als noch Ende letzten Jahres.
Wenn man sich die aktuellen Entwicklungen anschaut:
Ein schwacher US-Dollar
Und fallende Renditen für die US-Staatsanleihen, speziell im längerfristigen Bereich
– das war ein Umfeld, wo in der Vergangenheit speziell die Emerging Markets ein sehr, sehr gutes Umfeld hatten.
Das heißt:
Ein fallender US-Dollar und fallende US-Staatsanleihenzinsen unterstützen Emerging Markets.
Und auf Europa bezogen – das habe ich ja vorhin schon anklingen lassen – die fiskalpolitischen Maßnahmen, die sind sicherlich unterstützend.
Also von daher würde ich sagen: Ja – das, was anfangs Andreas gesagt hat – Handelsstreitigkeiten, Zollpolitik, das führt in der Regel dazu, dass es ein Schuss ins geeignete Knie ist.
Ich sehe jetzt im Augenblick nicht das Umfeld, in dem die USA schnell wieder eine Outperformance erzielen können.
Nikolaus Barth:
Dann hoffen wir, dass es nicht zu weh tut. Das waren Christian Stocker und Andreas Rees im HVB-Marktbriefing.
Wir haben heute diskutiert über die US-Zollpolitik und ihre Folgen für die Welt und über die Verfassung der globalen Aktienmärkte nach den doch recht ordentlichen Kurseinbrüchen der vergangenen Tage – ja, man muss sagen, Stunden.
Wir freuen uns natürlich über Ihr Feedback und Ihre Kommentare beziehungsweise Ihre Impulse. Die können Sie uns gerne per E-Mail schicken unter marktbriefing@unicredit.de.
Und natürlich freuen wir uns auch, wenn Sie das HVB-Marktbriefing weiterempfehlen beziehungsweise abonnieren – überall dort, wo es gute Podcasts gibt.
Freuen Sie sich schon heute auf ein Wiederhören mit Titus Kroder, der Ihnen natürlich als Moderator erhalten bleibt – mit Philipp Gisdakis, Christian Stocker und Andreas Rees. Und wenn Sie mögen, werden wir uns auch wieder bei irgendeiner Gelegenheit hören.
Das war das HVB-Marktbriefing. Es steht wie immer unter dem Motto:
Mitdenken für kluge Köpfe.
Wir danken Ihnen fürs Zuhören und Mitdenken. Es verabschieden sich:
Nikolaus Barth,
Andreas Rees
und
Christian Stocker.
Alles Gute und bis bald.