USA: Hat sich Trump im Zoll-Poker verzockt?
+++ Börse: Haben wir nach dem Marktschock den Boden schon gesehen?
Andreas Rees:
Die Gefahr, die ich sehe, ist, dass die Unternehmen weltweit erst einmal abwarten, nicht in die USA liefern, weniger produzieren, weniger investieren. Und wenn das eben viele Unternehmen gleichzeitig machen in der Weltwirtschaft, dann verstärken sich die negativen Effekte. Da habe ich wirklich schon großen Respekt vor diesem Risiko.
Christian Stocker: :
Die Kapitalströme werden sich fortsetzen aus den USA Richtung Europa. Europa wird doch finanztechnisch besser gesehen als noch in den letzten Jahren und in den USA ist es umgekehrt und das stabilisiert den europäischen Aktienmarkt.
Titus Kroder:
Hallo und willkommen. Titus Kroder begrüßt sie zum Marktbriefing der HypoVereinsbank mit einem Thema, das uns erneut sehr beschäftigt: Die US-Zölle. Die aktuelle Ruhe erscheint trügerisch, was das Zollchaos, das Donald Trump Anfang April im Rosengarten des Weißen Hauses angezettelt hatte, noch für weltwirtschaftliche Folgen haben wird, das ist noch wenig abzusehen. Wir versuchen es trotzdem heute. Unsere Fragen: Kommt nun eine neue Finanzkrise? Wer gewinnt den Handelskrieg ?Und hat sich Trump letztlich schon verzockt?
Außerdem wieder sehr nützliche Links mit Hintergrund zum Thema in den Shownotes dieses Podcast. Spulen wir kurz zurück. Der US-Präsident hatte zunächst gegen fast alle Länder der Erde zum Teil sehr hohe Zölle verhängt. Das Ergebnis war ein Erdbeben gefühlt der Stärke 8 bis 10 an den Finanzmärkten, gefolgt von plötzlich recht kalten Füßen im Weißen Haus darüber, was man da eigentlich angerichtet hatte.Dann kam die Rolle rückwärts.
Was ist also heute Stand am 17. April?
Trump hat die Zoll-Offensive für 90 Tage ausgesetzt. Bis etwa Mitte Juli ist das. In dieser Pause zahlen nun alle Firmen 10 Prozent Basiszoll bei der Einfuhr in die USA. Für Autos Stahl und Aluminium sind 25 Prozent fällig. Der Zollkrieg mit China ist derweil schon voll eskaliert.
125 Prozent verlangt China nun für Importe. Aus den USA und Importe in die USA können chinesische Firmen sogar bis zu 145 Prozent auf Preis kosten. Zollschraube rauf, Zollschraube runter.
Andreas Rees und Christian Stocker, unsere beiden HVB-Experten und Krisenanalytiker, sind mit aktuellen Einschätzungen bereit.
Hallo ihr beiden.
Andreas Rees:
Hallo zusammen.
Christian Stocker:
Hallo, grüß euch.
Titus Kroder:
Es hat ja an den Börsen ziemlich gewackelt nach dem sogenannten Liberation Day, dem Bekanntwerden der aggressiven Zolloffensive der USA. Am Aktienmarkt ging es steil bergab. Die Risikoaufschläge am langen Ende des US-Anleihenmarktes plötzlich um sagenhafte 60 Basispunkte in die Höhe gesprungen.
Unter anderem Friedrich Merz las solche Warnzeichen sogar als Vorboten einer handfesten Finanzkrise. Ist diese Sicht nicht doch etwas übertrieben, Andreas? Wie siehst du das als Chefvolkswirt der HVB?
Andreas Rees:
Ja, der Stand heute, das ist keine globale Finanzkrise. Ich glaube auch nicht, dass wir eine Finanzkrise sehen werden, so wie zum Beispiel 2008.
Wir haben eine andere Situation als damals. Wir haben keine spekulativen Übertreibungen. Wir haben keine Blasen, auch nicht am US-Immobilienmarkt oder irgendwo anders. Wir haben gesunde Bilanzen in Europa, sowohl bei den Unternehmen, den Privathaushalten und auch bei den Banken. Das war 2008, 2009 ganz anders.
Aber was man halt auch sehen muss, wir haben einen unberechenbaren US-Präsidenten, der seine Macht voll ausnutzt und auch ausdehnt. Es gab in der amerikanischen Geschichte noch nie einen Präsidenten, der zu diesem frühen Zeitpunkt seiner Amtszeit schon so viele Executive Orders unterzeichnet hat.
Und richtig ist natürlich auch das Vertrauen in die USA, das ist schon etwas angeknackst. Das kann man sehen zum Beispiel, wenn man sich den Euro-US-Dollar-Kurs anschaut. Aber die Gefahr einer ausgemachten Finanzkrise, das würde nur dann bestehen, wenn Trump so eine Art amerikanischer Brexit von der Weltwirtschaft versuchen würde. Also eine, ja .... eine wirklich radikale Entkopplung der USA von der restlichen Welt und das glaube ich nicht.
Titus Kroder
Christian, du bist leitender Aktienstrategie der HVB. Die Bankaktien, die stehen ja immer gleich im Mittelpunkt, wenn eine Finanzkrise vermutet wird. Siehst du da aktuell in diesem Segment Krisenanzeichen?
Christian Stocker:
Ein definitives Nein. Während dem Zollschock hatten wir anfangs schon, es hat den Anschein erweckt, der Bankensektor, war der am stärksten negativ betroffene Sektor in Europa. Banken haben innerhalb von drei Tagen 17 Prozent an Wert verloren.
Man muss das auch entsprechend einordnen. Seit Jahresanfang haben Banken 28 Prozent an Wert gewonnen. Das heißt, aus meiner Sicht waren das größtenteils Gewinnmitnahmen, nicht mehr. Der Auslöser für diese Gewinnmitnahmen waren zum einen übertriebene Rezessionsängste. Ängste vor Firmenpleiten, Ängste vor einem Szenario wie zur globalen Finanzkrise 2008, wie Andreas gerade erklärt hat. Ein Szenario, in dem Bankenpleiten, angeführt von Lehman in den USA, im Vordergrund standen.
Aber das ist aus heutiger Sicht absolut übertrieben und nicht gerechtfertigt. Die Banken haben extrem solide Finanzen. Banken haben eine starke Eigenkapitalbasis, sind sehr widerstandsfähig, auch für Krisensituationen, ist also wirklich kein Vergleich zu 2008.
Das heißt, die Bankenregulierung von Basel I bis inzwischen haben wir Basel IV, die war schon sehr, sehr erfolgreich bezüglich der Stabilität des Bankensystems.
Donald Trump:
People were, jumping a little bit out of line. They were getting yippy, you know. They were getting a little bit yippy, a little bit afraid.
But I think we're gonna have something that nobody would have dreamt possible
Titus Kroder:
Die Leute seien angesichts des Finanzbebens etwas "yippie", also etwas nervös geworden, gibt Trump hier zu. Schon in der ersten Amtszeit hatte er mal getweetet, Handelskriege, die seien eigentlich leicht zu gewinnen.
Andreas, nun hat er da tatsächlich einen ziemlich krassen Handelskonflikt angezettelt. Hat er sich da schon verzockt? Alles auf rot gesetzt, wo schwarz besser gewesen wäre? Was meinst du?
Andreas Rees:
Ja, er hat sich verzockt. Also er hat ganz offensichtlich mit der starken Reaktion an den Finanzmärkten nicht gerechnet und insbesondere hat er nicht damit gerechnet, dass die Zinsen bei den amerikanischen Staatsanleihen so stark ansteigen.
Wenn man die Kommentare liest von Trump und seiner Administration, die sehen das natürlich ganz anders, diese Rolle rückwärts, die wir bei den Zöllen gesehen haben. Das wird als Teil eines großen Plans dargestellt, aber wenn man sich die Kette der Ereignisse anschaut, das spricht ganz klar dagegen. Also die Finanzmärkte hatten zumindest teilweise eine disziplinierende Wirkung auf Trump.
Ja und was jetzt diesen Tweet angeht, ich glaube, dass es bei Handelskriegen keine Gewinner gibt, sondern am Ende nur Verlierer. Aber da können wir gleich nochmal drüber reden, Titus.
Titus Kroder:
Christian, verzockt würde ja auch heißen, dass die Anleger nun massiv um die Unternehmensgewinne der US-Firmen fürchten. Ich habe auch schon gelesen, dass einige Firmen dort sogar keine Quartalsausblicke mehr geben wollen, weil sie gar nicht mehr so weit voraus blicken können.
Trump verzockt oder nicht? Wie ist da die Meinung an den Finanzmärkten?
Christian Stocker:
An den Finanzmärkten und speziell an den Aktienmärkten ist ein klares Urteil gefallen. Die Administration von Trump hat sich verzockt. Der S&P 500, der hat 10 Prozent seit Jahresanfang verloren, der Nasdaq 100 15 Prozent an Wert verloren.
Auf der anderen Seite, in Europa sind wir weiterhin im Plus seit Jahresanfang, der DAX sogar um 7 Prozent. Für mich ist das ein ganz klares Urteil der Finanzmärkte, der Aktienmärkte gegen die Administration von Trump. Das heißt, die Investoren, die haben schon, wie du eben gesagt hast, die Furcht vor einer selbstverschuldeten Isolation der USA.
Die Flip-Flop-Zollpolitik von Trump führt dazu, dass die Unternehmen keine Planungssicherheit mehr haben. Und Planungssicherheit ist eines der wichtigsten Kriterien für ein solides Unternehmertum. Das heißt, im Zuge der aktuellen Unsicherheit wird es keine oder weniger Investitionen geben. Es wird keine Aufträge geben, keine Aufträge an ausländische Unternehmen, weil überhaupt nicht bekannt ist, ob und in welcher Höhezelle bezahlt werden müssen.
Das heißt, die Lieferketten, die können in Amerika schon in Bedrängnis kommen. Und aus meiner Sicht wird es im Minimum eine Pause geben im Umsatz und im Gewinnwachstum der US-amerikanischen Unternehmen. Und erste Hinweise dafür sieht man schon in den Unternehmen, die bereits die Quartalszahlen fürs erste Quartal berichtet haben.
Titus Kroder:
Eine Pause, also möglich. Wie stark sind denn bereits die Folgen der Zollpolitik für die Weltwirtschaft? Wie groß ist derzeit der Stock bei den Firmen im Industriesektor, Dienstleistungssektor? Und wie wird sich das, Andreas, bald makroökonomisch auswirken? Was glaubst du?
Andreas Rees:
Diese 10 Prozent Zölle auf Güter aus der restlichen Welt, wenn man mal China außen vor lässt, also insbesondere auf europäische Produkte, also das tut schon weh.Aber was man auch klar sagen muss, die Weltwirtschaft wird jetzt wegen diesen 10 Prozent alleine nicht abstürzen, die Weltwirtschaft wird sich deshalb verlangsamen. Also die große Sorge, das ist gar nicht mal so sehr wegen diesen 10 Prozent.
Was mir mehr Sorge macht, das sind eben zwei andere Dinge.
Einmal natürlich die Zölle der Amerikaner auf Einfuhren aus China. Diese Zölle sind mit 145 Prozent prohibitiv hoch. Und wenn das so auf Dauer bestehen bleiben sollte, dann gibt es faktisch eigentlich keinen richtigen Handel mehr zwischen den USA und China. Und wir reden hier über die beiden größten Volkswirtschaften der Welt.
Also das ist, ja, das ist schon ein großes Risiko. Und wir hatten ja zuletzt auch Nachrichten aus Hongkong. Die Post in Hongkong hat angekündigt, bald keine Pakete mehr in die USA zu schicken. Das betrifft jetzt zwar kleinere Waren und Güter, die bei chinesischen Online Händlern bestellt werden und dann in die USA versandt werden.Aber man merkt schon, es fängt jetzt schon im Kleinen an und es wird wahrscheinlich weitergehen, dass eben über kurz oder lang der Warenfluss zwischen China und den USA austrocknet.
Und das zweite Problem ist, was Christian gerade angesprochen hat, das ist die hohe Unsicherheit. Trump hat ja der Weltwirtschaft eine Verschnaufpause von 90 Tagen eingeräumt und angeblich haben jetzt mehr als 70 Länder den USA Verhandlungen angeboten.
Aber innerhalb einer so kurzen Zeitspanne kann man mit so vielen Ländern gleichzeitig eigentlich keine vernünftigen Gespräche führen, geschweige denn, dass man Handelsverträge abschließen kann. Also die Frage stellt sich, was passiert nach den 90 Tagen? Wird es nochmal verlängert? Oder eine andere Möglichkeit wäre auch, dass diese 90 Tage gar nicht halten.
Also Trump könnte das auch früher einkassieren und dann probiert er möglicherweise wieder was Neues mit höheren Zöllen. Also was Christian schon ganz klar gesagt hat. Die Gefahr, die ich sehe, ist, dass die Unternehmen weltweit erst einmal abwarten, nicht in die USA liefern. Sie werden dann auch wahrscheinlich weniger produzieren, weniger investieren und wenn das eben viele Unternehmen gleichzeitig machen in der Weltwirtschaft, dann verstärken sich die negativen Effekte, also da habe ich wirklich schon großen Respekt vor diesem Risiko.
Titus Kroder:
Christian, wie gehen denn die Investoren wieder mit Blick auf den Finanzmarkt mit der Unsicherheit um und wie spiegelt sich das in den aktuellen Bewertungen?
Christian Stocker:
Nach dem anfänglichen erheblichen Verkaufsdruck hat an den Aktienmärkten inzwischen eine gewisse Beruhigung, die sicherlich nur kurzfristig sein wird, stattgefunden.
Das heißt, man wartet ab, was noch weiter kommt . Auf dem aktuellen Niveau, würde ich sagen, ist ein großer Teil der Belastungen, die im Augenblick auf dem Tisch liegen, bereits reflektiert. Es spiegelt sich bereits wieder, wenn man sich in den USA seit 1950 die Rezessionen anschaut. Das waren elf Stück. Dann sind die Gewinne im Durchschnitt in diesen Rezessionsphasen um 18 Prozent eingebrochen
Der S&P 500 hat von Mitte Februar bis Anfang April 19 Prozent an Wert verloren. Das heißt, angenommen, das Kursgewinnverhältnis bleibt unverändert, dann haben wir mit den Tiefpunkten Anfang April einen Bereich markiert, der dem gegenwärtigen Risiko schon recht gut Rechnung trägt.
Gewinne im Durchschnitt 18 Prozent niedriger, Kursniveau inzwischen 19 Prozent niedriger gewesen zwischenzeitlich und das gleicht sich einigermaßen aus. Es kann nie ausgeschlossen werden, dass es noch weiterhin volatil ist. Ich gehe davon aus, dass die Aktienmärkte in den kommenden Wochen noch sehr, sehr volatil bleiben, bis wir mehr Sicherheit haben. Aber, das Level der Tiefpunkte, das dürften wir zumindest einmal angetestet haben.
Titus Kroder:
Dennoch, zwischen China und den USA kracht es ja schon gewaltig. Beide Seiten rufen mittlerweile grotesk hohe Zölle auf, kann man sagen. Wer kann diesen Konflikt gewinnen? Andreas, China oder die USA?
Andreas Rees:
Wenn man Trump zuhört oder seine Administration, dann ist das ja vermeintlich eine ganz einfache Sache.
Die USA können ja nur gewinnen, weil sie nur ein Viertel dessen nach China exportieren, was an Waren aus China in die USA fließen, also das ist die Trump-Denke und die ist natürlich naiv.
Wenn das wirklich Bestand haben sollte, diese hohen Zölle, am Ende werden sowohl die Amerikaner als auch die Chinesen verlieren. In den USA steigen die Preise und die Konjunktur wird schwächer. Und in China verliert die Wirtschaft auch an Fahrt. Vermutlich werden die Amerikaner am Ende des Tages sogar noch mehr verlieren als China. Denn China könnte ja zumindest versuchen, seine Produkte irgendwo anders zu verkaufen. Bei den Amerikanern, da ist es schwieriger. Die USA haben zum Beispiel bei einigen kritischen Gütern keinen richtigen Plan B, woher sie eigentlich ihre Importe beziehen können außerhalb von China. Und das sind jetzt nicht nur die berühmten seltenen Erden aus China, die zum Bau von amerikanischen Kampfjets benötigt werden.
Da gibt es auch Güter, an die man vielleicht im ersten Moment gar nicht so richtig dran denkt, aber die ganz zentral sind für die amerikanische Wirtschaft. Zum Beispiel werden 80 Prozent der Klimaanlagen in China hergestellt und wenn jetzt hier in einem extremen Fall die Lieferungen aus China vollständig ausbleiben sollten, dann könnte das natürlich gravierende Folgen haben im amerikanischen Dienstleistungssektor, zum Beispiel bei Bürotätigkeiten oder im Einzelhandel.
Also das Problem ist, dass der Plan B gibt es nicht und den kann es eigentlich auch gar nicht geben, weil weder in den USA noch sonst wo die entsprechenden Produktionskapazitäten für gewisse Güter vorhanden sind.
Titus Kroder:
Wie sehen denn die wirtschaftlichen Folgen dieses Kräfterengens zwischen USA und China für die Europäer aus?
Die Unternehmen in den USA und China produzieren ja weiter vielleicht, bisschen auf reduziertem Niveau, wohin nun aber mit all diesen Waren, wenn die Zollschranken für die gegenseitigen Märkte dermaßen hoch sind.
Andreas Rees:
Man sagt immer so schön, wenn zwei sich streiten, dann freut sich der dritte. Aber ich muss ganz ehrlich sagen, in dem Fall können wir uns als Europäer nicht freuen.
Natürlich wird es auch europäische Unternehmen geben, die profitieren, weil die Konkurrenz aus China mit noch höheren Zöllen belegt worden sind, aber am Ende des Tages überwiegen dann doch makroökonomisch die Risiken und auch die negativen Effekte. Denn einmal, die USA und China, die machen fast die Hälfte der Weltwirtschaft aus und wenn beide Volkswirtschaften sich abschwächen, dann wird es natürlich auch schwieriger für die europäischen Unternehmen, dorthin zu exportieren.
Dann haben wir leider noch zwei weitere negative Effekte. Also einmal könnte China versuchen, seine Produkte verstärkt in Europa zu verkaufen. Und klar, das wollen die Europäer natürlich nicht. Aber wenn die Europäische Union dann mit Zöllen darauf reagieren würde, dann könnte es eben zu einem Handelskonflikt zwischen Europa und China kommen. Das ist auch nicht gut.
Und der zweite negative Effekt, viele Länder gleichzeitig sind von den höheren US-Zäunen und der Verlangsamung der Weltwirtschaft betroffen und dadurch sinkt die Bereitschaft und auch die Leistungsfähigkeit dieser Länder zu importieren und das ist dann wiederum kein gutes Umfeld für Unternehmen, die auf ihr Exportgeschäft angewiesen sind. Also da denke ich vor allen Dingen an die deutschen Unternehmen.
Titus Kroder:
Christian, diese ganzen möglichen Nachteile für Europa, die Andreas gerade geschildert hat, ist das für Investoren ein Thema? Sieht man das vielleicht schon am Markt? Auch am europäischen Aktienmarkt?
Christian Stocker:
Es ist sicherlich auch ein Thema am europäischen Aktienmarkt. Man sieht es ja, wir haben uns von den Hochkursen in Europa Mitte März deutlich reduziert in den Kursniveaus. Das heißt, man achtet schon darauf, man sieht die Probleme auf uns zukommen. Auf der anderen Seite wird im globalen Vergleich Europa inzwischen etwas positiver gesehen als in den letzten Jahren.
Wir werden in Europa voraussichtlich stärkere Fiskalausgaben haben. Die Schuldenbremse in Deutschland wird gelockert. Wir werden höhere Verteidigungsausgaben haben, von denen ganz Europa strukturell profitieren wird, weil Ausschreibungen müssen ja europaweit getätigt werden. Wir erholen uns von einem niedrigen Niveau aus.
Ganz klar, USA auf der anderen Seite schwächen sich von einem hohen Niveau ab. Und in diesem Zusammenhang reduzieren die internationalen Investoren die lange Zeit gültige Untergewichtung von Europa und reduzieren gleichzeitig die Übergewichtung von den USA. Das heißt, man kommt zu einer, Fachausdruck, More Balanced Allocation.
Man sieht also die beiden Blöcke eher mal im Gleichgewicht. Das heißt, die Kapitalströme werden sich fortsetzen aus den USA Richtung Europa. Sieht man auch an dem schwachen US-Dollar und den in der Folge festen Euro. Das heißt jetzt nicht, dass Europa ein Hort der Stabilität ist, aber Europa wird doch finanztechnisch besser gesehen als noch in den letzten Jahren und in den USA ist es umgekehrt. Und das stabilisiert den europäischen Aktienmarkt.
Titus Kroder:
Und von diesem Zufluss an Kapital profitieren natürlich gerade auch die europäischen Aktien. Man kann ja als Regierung in eskalierenden Zollkonflikten auch die eigenen Firmen auf andere Weise unterstützen als durch Zollbarrieren an der Grenze. Was gibt es da für Beispiele, Andreas, wie man sich gegen Zölle noch wappnen kann?
Andreas Rees:
Es gibt schon Anstrengungen und Versuche, die negativen Auswirkungen zu dämpfen. Also im China, da wird es aller Voraussicht nach bald Zinssenkungen geben und auch neue Fiskalpakete, um die Binnenwirtschaft anzukurbeln. Dann haben wir jetzt eine weitere Zinssenkung bekommen von der EZB.
Das war jetzt auch vermutlich nicht die letzte, da kommt noch ein bisschen was nach. Wir haben zuletzt auch Zinssenkungen gesehen im asiatisch-pazifischen Raum, zum Beispiel in Indien oder in den Philippinen. Wir haben gesehen in Südkorea, da ist jetzt ein Hilfsprogramm für die Autoindustrie auf den Weg gebracht worden.
Spanien hat seine Hilfen für die heimische Industrie aufgestockt. Wir haben in Deutschland die fiskalische Bazooka, die ist natürlich vor dem Zollchaos beschlossen worden, aber die wird uns dann vermutlich im nächsten Jahr etwas helfen, dann wird sie Wirkung zeigen. Also viele Länder versuchen die negativen Auswirkungen abzumildern, das ist gut, das ist legitim. Aber ich muss auch sagen, es mehren sich die Anzeichen auch für mehr Protektionismus außerhalb der USA.
Zum Beispiel fährt die australische Regierung jetzt eine Kampagne bei Australien. Also ich befürchte, dass solche Ansätze zunehmen werden und das ist keine gute Entwicklung.
Titus Kroder:
Zölle rauf, Zölle runter, Ankündigung und wieder zurückrudern. Man hat das Gefühl, jeden Tag gibt es da was Neues. Wie behält man denn noch den aktuellen Überblick bei diesem Wirrwarr? Wie machst du das eigentlich als Volkswirtschaftsprofi?
Andreas Rees:
Die Quelle schlechthin, die gibt es leider nicht, aber wenn man jetzt zum Beispiel in dem ganzen Zoll durcheinander den Überblick behalten will, da gibt es von einem Think Tank in den USA, dem Peterson Institute, eine sehr gute Übersicht mit den ganzen Maßnahmen. Da schaue ich rein und das ist, finde ich, sehr hilfreich. Was ich mir auch noch gerne anschaue, das ist eine ist eine Homepage von der Universität Santa Barbara in Kalifornien. Das nennt sich der American Presidency Project. Da gibt es eine Übersicht mit den ganzen Executive Orders von Trump. Da lese ich mir jetzt nicht jede Executive Order im Detail durch. Aber ich schaue da immer wieder rein, was da gerade an Neuem kommt.
Da geht es eben nicht nur um Zölle, sondern um seine gesamte Politikagenda. Das ist sehr interessant. Ich habe ja am Anfang gesagt, Trump stützt sich ganz stark auf diese Executive Orders. Und deshalb gucke ich da immer wieder sehr gerne drauf und da kann man sich auf dem Laufenden halten.
Titus Kroder:
In den Shownotes finden Sie die erwähnten Links verlinkt. Christian, die letzte Frage geht heute an dich. Nehmen wir mal die Anlegerperspektive ein. Wir waren durch das Zollbeben an den Märkten schon kurz vor einem Bärenmarkt gestanden, vor allem bei US-Aktien. Wenn die Anleger jetzt auch etwas yippie werden, nervös also, wegen einer möglichen Rezession, was kann man denen als Einschätzung mitgeben, Stand heute?
Christian Stocker:
In solchen Phasen sind Anleger immer dann gut beraten, wenn sie einen mittel- bis längerfristigen Anlagehorizont betrachten. Wir haben vergangene Woche eine Studie veröffentlicht, in der wir uns die Entwicklung des amerikanischen Aktienmarktes der letzten knapp 100 Jahre anschauen. Von 1928 bis 2024 hat es über diesen langen Zeitraum 65 Jahre gegeben, in denen der Aktienmarkt positive Entwicklungen hatte, im Durchschnitt um 18 Prozent gestiegen ist.
Auf der anderen Seite hat der Aktienmarkt nur in 31 Jahren an Wert verloren, um durchschnittlich 14 Prozent. Und wenn man sich mal die einzelnen Phasen genauer anschaut, sogenannte Bärenmarktphasen. Das heißt in Phasen, wo der Aktienmarkt mehr als 20 Prozent verloren hat, die waren sehr, sehr kurz. Die waren im Durchschnitt von 1928 an nur 17 Monate, während auf der anderen Seite Bull-Markt-Phasen, in der der Aktienmarkt mehr als 20 Prozent gewonnen hat, fünf Jahre gedauert haben, mit einem durchschnittlichen Anstieg um 180 Prozent.
Und das inklusive der großen Depression Ende 1929 bis weit in die 1930er Jahre hinein, inklusive des Zeitraums des Zweiten Weltkrieges. Und das zeigt ganz klar die Kraft der langfristigen Investments. Über den kompletten Zeitraum beispielsweise von 1928 bis 2024 hat der S&P 500 um sage und schreibe 30.000 Prozent an Wert gewonnen.
Hätte man jetzt über diesen langen Zeitraum die 20 besten Tage verpasst über die knapp 100 Jahre, dann wäre die Performance nicht bei 30.000 Prozent gewesen, sondern nur noch in Anführungszeichen bei 4.200 Prozent . Und das zeigt schon mal die Kraft der langfristigen Investments. Und gerade auch Anfang April hat gezeigt, auch da war ein sehr, sehr guter Börsentag: Plus 9,5 Prozent am 9. April. Wenn man diesen Tag verpasst hat, dann schaut es schlecht aus mit der Performance.
Titus Kroder:
Andreas Rees und Christian Stocker waren das, die beiden HVB-Experten mit top aktuellen Einschätzungen zum weltweiten Hauruck der US-Regierung bei den Zöllen. Was kommt nun wohl nach der 90-tägigen Zollpause? Ich vermute mal, wir werden hier im Podcast nicht zum letzten Mal das Thema durchleuchtet haben. Danke euch für die Zeit und das Teilen eurer Sichtweisen.
Wir sind mit dem nächsten Marktbriefing per Download ab dem 5. Mai am Start. markt-briefing-at-unikredit.de lautet die E-Mail für Ihre Kommentare und Hinweise. Das HVB Marktbriefing steht unter dem Motto Mitdenken für kluge Köpfe. Bis bald sagen ...
Andreas Rees
Christian Stocker
Und
Titus Kroder.