Nahostkrise, Zölle, Investitionsbooster: Wie geht die Wirtschaft durchs Sommergewitter? US-Aktien: Wie weit zurückschrauben?
Philip Gisdakis: Die Märkte haben eingeschätzt, dass der Iran deutlich geschwächt ist und deswegen eben kein großes Interesse daran gehabt haben könnte und hier die Situation noch mal deutlich weiter zu eskalieren, dass dieses Risiko aufgrund der geostrategischen Entwicklung relativ begrenzt liegt.
Andreas Rees: Es gibt ja noch den Investitionsbooster, der wird natürlich auch erstmal zu mehr Verschuldung. Aber ich finde, das ist genau das, was wir jetzt brauchen. Unsere Wirtschaft ist immer noch fragil und wir brauchen auch eine Überbrückung, bis die fiskalische Bazooka in der Wirtschaft ankommt. Das wird nicht vor 2026 der Fall sein.
Hallo, ich bin Titus Kroder und sage herzlich willkommen zum HVB. Ja, das neue Normal, das scheint zu sein, dass eben fast nichts mehr normal ist. Unsere Themenagenda im Podcast wird jede Woche noch voller und komplexer. Ein Zwölftagekrieg zwischen Iran und Israel hat sich inzwischen in die Gemengelage gemischt. Derweil steuern wir möglicherweise schon auf das nächste US-Zollbeben zu. Und so ganz nebenbei macht der Bundesfinanzminister neue Rekordschulden. Viele Kundenanfragen erreichen unsere Experten. Kein Wunder, denn das sind alles für Wirtschaft und Investoren sehr relevante und zusammenhängende Themen. Und deshalb gleich rasch rüber zu unseren Fachleuten. Durch das aktuelle Dickicht an geopolitischen Erschütterungen und ökonomischen Weichenstellungen führen uns wieder die bewährt sachkundigen HVB-Experten Andreas Rees und Philipp Gisdakis.
Philipp Gisdakis: Hallo ihr beiden.
Andreas Rees: Hallo, grüßt euch.
Titus Kroder: Hallo, ich grüße euch. Andreas, die Waffen zwischen Iran und Israel, die schweigen gerade zumindest heute am Donnerstag, an dem wir diesen Podcast aufnehmen. Ein Dauerbrenner für Volkswirte sind diese immer wiederkehrenden Ostkrisen ja wohl schon, denn trotz Dekarbonisierung der Wirtschaft geht es bei Konjunktur und Wachstum immer noch sehr stark um den Treibstoff der Weltwirtschaft schlechthin, nämlich das Erdöl. Iran könnte hier noch ganz schön Probleme machen, etwa die wichtige Meerenge von Hormuz verminen oder auf andere Weise sperren. Ich nehme mal an, du blickst wie schon so oft beruflich, auch dieses Mal wieder auf die berühmte Meerenge am Golf und auf den Ölpreis natürlich.
Andreas Rees: Ja, Titus, genau das stimmt. Die volkswirtschaftlichen Gedankenspiele. So, in den letzten zwei Wochen haben sich vor allem um das Öl gedreht. Der Iran ist zwar ein vergleichsweise kleiner Ölproduzent mit einer Förderung – ja, das sind so rund zwei Millionen Barrel am Tag, das sind zwei Prozent des weltweiten Ölverbrauchs. Das könnte durch eine höhere Förderung anderer Ölproduzenten gut ausgeglichen werden. Also das wirklich große Thema, das war und das ist die Straße von Hormuz, durch die etwa 20 Prozent des weltweiten Ölangebots fließen. Also das ist ein neuralgischer Punkt in der Weltwirtschaft. Da wird viel Öl transportiert, aber auch viel LNG, vor allem aus Katar. Und da gibt es auch noch Erzeugnisse der Petrochemie – das ist auch ganz wichtig. Ja, und höhere und niedrige Ölpreise, das betrifft immer noch die gesamte Weltwirtschaft, vor allem natürlich die Länder, die Energie importieren müssen, Europa oder auch die Schwellen- und Industrieländer in Asien. Also das ist ganz wichtig. Die USA sind da in einer besseren Position. Sie produzieren oder fördern ja auch Öl und Gas.
Der Ölpreis hat ja tatsächlich gezuckt, als die ersten Raketen in Israel einschlugen, die ersten Atomanlagen im Iran bombardiert wurden. Es ist wohl schwer zu beantworten, vermute ich. Aber dennoch, wie geht es denn nun weiter mit dem Ölpreis in der zweiten Jahreshälfte? Was lässt sich da absehen? Geopolitische Risikoprämien beim Ölpreis, so wie wir das auch zuletzt gesehen haben – also zuerst nach oben, dann nach unten – das lässt sich natürlich nicht prognostizieren. Und ganz ehrlich, das probieren wir erst auch gar nicht. Aber wenn man sich jetzt den Ölmarkt fundamental anschaut, dann denken wir, dass wir einen Angebotsüberhang an Öl in der zweiten Jahreshälfte sehen werden.
Die OPEC hat ja bereits begonnen, mehr zu fördern. Und wir haben auch von der Konjunkturseite her die Situation der Weltwirtschaft – das ist immer noch relativ angespannt und fragil. Also von der Nachfrageseite her. Insofern, das spricht alles fundamental für einen niedrigeren Ölpreis. Und wir erwarten in der zweiten Jahreshälfte einen Preis von rund 65 bis 70 Dollar pro Fass.
Titus Kroder: Philipp, wie ist denn das aus Marktsicht? Ein neuer Waffengang, der die ganze Region in militärische Konflikte und Chaos stürzen könnte. Ich hätte da erwartet, dass der Ölpreis die 100-Dollar-Marke reißt und deutlich erhöht bleibt. Stattdessen kurze Zuckungen bei den Ölnotierungen. Ist das nun Abstumpfung der Marktteilnehmer bei Nahostlern, die immer mal wieder auftauchen? Dass der Krisenanzeiger schlechthin nicht mehr so funktioniert wie früher? Die rein militärischen Fakten sind ja doch nicht ganz ohne und ziemlich brenzlig.
Philipp Gisdakis: Ja, Titus, ich denke, man muss schon genau hinschauen, woran das entsprechend liegt. Ihr habt den zentralen Faktor ja bereits angesprochen und diskutiert. Das Risiko einer Schließung der Straße von Hormuz hat sich nicht gesteigert. Und die Märkte haben diesem Risikofaktor eben keine so extrem hohe Wahrscheinlichkeit zugeschrieben. Wenn das Risiko extrem hoch gewesen wäre, dann hätte der Ölpreis vermutlich auch in diese Größenordnung, die du angesprochen hast, entsprechend reagiert. Und das hat natürlich schon auch Gründe, die so ein bisschen auch darin liegen, was sich eigentlich an der Sicherheitsarchitektur des Irans nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 verändert hat. Und da muss man eben auch sagen, dass diese Sicherheitsarchitektur deutlich eingeschränkter wurde. Man denke nur an das, was im Libanon passiert ist oder eben auch der Sturz des Assad-Regimes in Syrien, die ja wichtige Elemente der Sicherheitsarchitektur des Irans waren. Und die Märkte haben eben in diesem Szenario eingeschätzt, dass der Iran politisch und eben von seiner Sicherheitsarchitektur deutlich geschwächt ist und deswegen eben kein großes Interesse daran gehabt haben könnte. Und so hat sich das ja auch entsprechend gezeigt, hier die Situation noch mal deutlich weiter zu eskalieren. Wenn es zu einer Schließung der Straße von Hormuz gekommen wäre. Wenn es zu einer Schließung der Straße von Hormuz gekommen wäre, dann wäre die Reaktion an den Kapitalmärkten natürlich deutlich relevanter gewesen. Die Märkte haben eingeschätzt, dass dieses Risiko aufgrund der geostrategischen Entwicklungen, die ich genannt habe, eben relativ begrenzt blieb.
Titus Kroder:
Andreas, die Energiekosten die ja am Ölpreis hängen, die haben auch die Notenbanken im Visier Was ist in einer geopolitischen Gewitterstimmung, wie wir sie nun haben, wo ja praktisch jeden Tag etwas Neues passieren kann, was ist da von den Notenbanken wie EZB oder der Fed in den USA zu erwarten? Werden die zinspolitisch nun eher abwarten Werden sie handeln, gegensteuern? Was erwartest du da?
Andreas Rees: Ja, wir denken, dass beide... Notenbanken, also die FED und die EZB, die beiden großen, sich aller Voraussicht nach nicht von dem kurzfristigen Ölpreisschock leiten lassen. Also fundamental gesehen hat sich nicht so wahnsinnig viel geändert Das war ein kurzfristiger Schock. Die Inflation dürfte kurzfristig etwas ansteigen aus Sicht von ein oder zwei Monaten, sich danach aber wieder beruhigen. Und deshalb rechnen wir unverändert mit noch einer Leitzinssenkung der EZB um 25 Basispunkte, vermutlich im September nach der Sommerpause. Dann hätten wir einen Leitzins von 1,75 Prozent in der Eurozone. Ja, und das sollte es dann erstmal gewesen sein mit den Zinssenkungen. Bei der amerikanischen Notenbank – auch die dürfte sich nach wie vor Zeit lassen mit einer Zinssenkung, also nichts Neues. Der Fokus der amerikanischen Notenbank richtet sich natürlich sehr, sehr stark auf die Entwicklung der Inflation jetzt über die Sommermonate hinweg, vor dem Hintergrund der Zollerhöhung. Die FED, aber auch wir und andere Volkswirte – da ist die Erwartung, dass die Erhöhung der Zollsätze, die bereits stattgefunden hat, wirklich zu höheren Inflationsraten führt. Also es gibt hier aller Voraussicht nach diese ganz klassische Wirkungsverzögerung, bevor die höheren Zollsätze dann auch bei den amerikanischen Verbrauchern ankommen werden. Also das ist sozusagen die Arbeitshypothese der FED, aber auch von uns. Also von daher, die amerikanische Notenbank hat ziemlich wenig Spielraum für Lockerungen. Wir erwarten deshalb allenfalls eine Leitzinssenkung um 25 Basispunkte gegen Jahresende auf dann 4,25 Prozent. Und auch wenn der politische Druck von Donald Trump, die Leitzinsen schnell und aggressiv zu senken, sehr hoch ist – wir denken, dass die USA faktisch ein Hochzinsland erstmal bleiben werden.
Titus Kroder:
Philipp, weil Andreas gerade die USA analysiert hat und die Fed – ein Hörer des Marktbriefings wüsste gerne genauer, welche Risiken es derzeit bei US-Investments gibt. Er fragt sich, ob er einen Fonds mit starkem US-Anteil nicht besser verkaufen sollte angesichts der doch wackeligen US-Konjunktur und der schwachen Unternehmensprognosen. Wie ist da deine Antwort als Chief Investment Officer der HVB?
Philipp Gisdakis:
Ich glaube, das muss man sehr differenziert betrachten, denn wie du gerade gesagt hast, ging diese Frage stark auf US-Aktien, und da kommt es natürlich sehr darauf an, welche Aktien, welche Branchen sind in den USA in so einem Investmentvehikel investiert. Es gibt ja nach wie vor Unternehmen und Branchen in den USA, die sehr stark sind und sich auch vermutlich weiterhin sehr stark entwickeln werden, wie zum Beispiel die IT-Branche. Unternehmen, die eben weiterhin eine hohe Dominanz beim Thema künstliche Intelligenz haben werden, bleiben aus unserer Sicht nach wie vor attraktiv. Aber nicht alles, was in den USA am Aktienmarkt unterwegs ist, ist attraktiv. Und insbesondere auf der Rentenseite und auch bei der Währung werden wir sukzessive vorsichtiger in unserer Anlagestrategie. Und es gibt eine ganze Reihe von Themen. Eines der Themen, die ich hier besonders betonen möchte, ist die sogenannte Section 899 – also Sektion 899 der sogenannten „One Big Plan Beautiful Bill“, ein Gesetzesvorhaben in den USA. Ich glaube, man muss diesen Namen tatsächlich so aussprechen. Das große Haushaltsgesetz von Präsident Trump – ja, das ja tatsächlich offiziell diesen Namen so hat. In dieser sogenannten Section 899 verbirgt sich, das wird auch mitunter als sogenannte Revenge Tax – also Rachesteuer – bezeichnet, eben die Möglichkeit der US-Regierung, Anlegerinnen und Anleger aus Ländern, wo sich die Länder aus Sicht der US-Administration nicht wohlverhalten, zusätzlichen Quellensteuern zu belegen – also insbesondere Dividenden und Couponzahlungen dann eben zusätzlicher Quellensteuern zu unterwerfen. Und das hat natürlich insbesondere auf Wertpapiere, die stark von solchen Zahlungsströmen abhängig sind – gerade bei festverzinslichen Wertpapieren ist das der Fall – eine erhebliche Auswirkung. US-Unternehmen zahlen ja typischerweise keine so hohen Dividenden, da spielt es dann möglicherweise eine etwas geringere Rolle.
Aber auch das führt natürlich dazu, dass man bezüglich US-Staatsanleihen ein bisschen vorsichtiger werden sollte. Wir sind mittlerweile bezüglich US-Staatsanleihen untergewichtet – und das unter anderem auch aufgrund der Tatsache, dass ja auch andere Elemente des großen Haushaltsgesetzes nicht so ganz vorteilhaft sind für Anleger, gerade für die festverzinsliche Seite. Denn vermutlich dürfte sich die Staatsverschuldung der USA nochmal massiv ausweiten in den kommenden Jahren, aufgrund der nicht vollständig gegenfinanzierten Steuersenkungen. Und zuletzt eben auch der wieder anschwellende Druck aus dem Weißen Haus auf die Notenbank in den USA, die Zinsen zu senken, führt zu Unsicherheit. Und gerade für europäische Anleger ist das jetzt so: Wenn jetzt tatsächlich das Bestreben des Weißen Hauses, die FED dazu zu bringen, die Zinsen zu senken, tatsächlich Frucht tragen würde, und es würden stärkere Zinssenkungen als möglicherweise aufgrund der Inflationsdynamik gerechtfertigt kommen, dann würden möglicherweise die Anleihenrenditen sinken. Aber das würde sich natürlich aus Sicht des europäischen Investors negativ auf den Wechselkurs auswirken. Deswegen sind wir insbesondere bezüglich festverzinslichen Wertpapieren und bezüglich amerikanischen Staatsanleihen etwas vorsichtig. Das bedeutet nicht, dass wir da jetzt alles verkaufen, aber wir sind in dieser Anlageklasse eben untergewichtet. Und bei den amerikanischen Aktien – darauf zielt ja wie gesagt die Hörerfrage – sind wir sehr selektiv und fokussieren uns auf Unternehmen, die zwar in den USA gelistet sind und auch sehr viel Forschung und Entwicklung in den USA haben, aber eben ein stark globales Geschäftsfeld haben. Wie das eben bei den großen IT-Unternehmen der Fall ist.
Titus Kroder:
Wenn ihr jetzt so vorsichtig mit US-Aktien und US-Staatsanleihen seid, zumindest selektiv, dann fallen ja teilweise auch quasi schon zwei der wichtigsten investierbaren Assets global weg. Wo also dann sonst investieren, wenn man die Gewichte aus dem US-Markt so stark zurücknimmt als Investor?
Philipp Gisdakis:
Ja, es bleiben dann natürlich noch Schwellenländer. Da gibt es durchaus interessante Opportunitäten. Aber natürlich auch die Industrieländer im Asien-Pazifik-Raum, also Japan zum Beispiel. Der Markt ist nicht ganz so groß und die haben ganz gut performt in den letzten Jahren. Wäre jetzt nicht mein absoluter Schwerpunkt, sondern ich würde mich tatsächlich wieder verstärkt auf Europa konzentrieren. Das tun wir übrigens insgesamt in unserer Anlagestrategie. Wir haben ja in unserem Portfolio keine Portfoliostruktur, die sich an dem sogenannten MSCI World orientiert – in dem also drei Viertel des Anlagegewichtes bei den Aktien in den USA ist – sondern eines, das eben sehr viel stärker in Europa investiert ist. Und ich glaube, dass die Perspektive für europäische Anlagen sowohl auf der Aktienseite als auch auf der Anleihenseite aus Sicht von europäischen Investoren, aber auch aus Sicht von globalen Investoren attraktiver wird. Da spielt eine Rolle, dass die Investitionstätigkeit aufgrund der Investmentpakete aus Deutschland heraus natürlich sich positiv auswirken wird und in der Folge dessen eben auch die Wachstumsperspektive sich aufhellen dürfte – sowohl für Europa als auch für Deutschland. Fürs aktuelle Jahr vermutlich noch verhalten, aber für die kommenden Jahre – auch wenn man dem Andreas Rees zuhört – dann hört man, dass die Perspektive für Europa und auch für Deutschland sich aufhellt. Und das führt eben bei uns dazu, dass wir uns noch ein Stückchen mehr, als wir das bisher in der Vergangenheit schon getan haben, in Europa orientieren. Da gibt es attraktive Investmentmöglichkeiten.
Titus Kroder:
Lasst uns auch nochmal das Thema US-Zölle weitertreiben, genauer unter die Lupe nehmen. Andreas, Frage an dich als Chefvolkswirt der HypoVereinsbank: Da galt derzeit ja ein Aufschub um 90 Tage, den Donald Trump im April gewährt hatte. Diese Frist geht nun am 9. Juli zu Ende. Die derzeit also noch pausierten hohen Strafzölle für Importe in die USA kommen jetzt gewaltig auf uns zu – auf Deutschland, auf die EU.
Was erwartest du da?
Andreas Rees:
Ja, vielleicht fange ich mal an mit dem augenblicklichen Stand. Im Augenblick, da liegen die durchschnittlichen amerikanischen Zölle über alle Länder und Sektoren hinweg bei rund 16 Prozent. Das hört sich vielleicht jetzt gar nicht mal so schlimm an, aber im letzten Jahr vor Trump 2.0, da waren es nur zweieinhalb Prozent. Also das ist schon eine Vervielfachung. Ohne bilaterale Handelsabkommen drohen noch massivere Zollerhöhungen. Die Verhandlungen laufen intensiv mit einer Vielzahl von Ländern – Indien, Japan, der Europäischen Union. Die führen alle Gespräche mit der amerikanischen Regierung. Ob das dann am Ende wirklich reicht, um am 9. Juli einen Deal oder viele Deals zu verkünden? Das ist faktisch nicht zu beantworten, das wissen wir nicht. Es gibt viele Analysten oder Beobachter, die erwarten, dass die USA den Zollaufschub selektiv für einige Länder nochmal verlängern. Natürlich steht Trump aber auch unter innenpolitischem Druck. Er muss liefern, und er kann nicht einfach immer wieder weiter verschieben und neue Deadlines ausgeben.
Also es ist eine schwierige Situation. Ja, und um dem Ganzen noch wirklich das Sahnehäubchen draufzusetzen, es wird noch komplizierter dadurch, dass mehrere amerikanische Bundesstaaten eine Sammelklage gegen die geplanten Zollanhebungen durch Donald Trump eingereicht haben. Es gibt Staaten wie Kalifornien oder Illinois, die beklagen, dass ihre exportorientierten Industrien – gerade im Bereich Maschinenbau und Landwirtschaft – überproportional von möglichen Vergeltungsmaßnahmen anderer Länder betroffen wären, vor allen Dingen natürlich bei Exporten nach Europa oder nach Asien. Wir hatten im Mai schon ein Gerichtsurteil, das die Rechtmäßigkeit von Trumps Liberation Act – also den Zöllen – infrage gestellt hat. Dann hat die Trump-Administration Berufung eingelegt, sodass dann die ursprünglichen Zölle bis auf Weiteres wieder in Kraft bleiben. Also, es ist wirklich kompliziert, es ist nicht hundertprozentig klar, wie es weitergeht, und es ist doch eine unglaubliche Unsicherheit da – für die Unternehmen in der Weltwirtschaft.
Titus Kroder:
Also wie gesagt, ab dem 9. Juli wird es spannend, vor allem für deutsche Unternehmen. Teil des momentanen Dickichts an Marktimpulsen sind natürlich auch die Pläne der Bundesregierung. Die will im Zuge ihres sogenannten Investitionsturbos bis Weihnachten sagenhafte 116 Milliarden Euro investieren, um Deutschland wieder flott zu machen. In vier Jahren soll der Wehretat bei 3,5 Prozent der Brutto-Wertschöpfung unseres Landes liegen. Wie ist das aus deiner Sicht als Volkswirt? Kann man 116 Milliarden Euro sinnvoll in den nächsten sechs Monaten ausgeben? Werden da nicht Gelder ineffektiv hinausgeworfen und damit auch noch die Schulden hochgetrieben?
Andreas Rees:
Ja, Titus, jetzt hast du sogar noch eine Sache bei der Bundesregierung vergessen. Es gibt ja noch den Investitionsbooster, der jetzt durch den Bundestag gegangen ist. Der Investitionsbooster – vielleicht nochmal ganz kurz zur Erinnerung: Hier werden verbesserte steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen vorgesehen, also für Maschinen und Ausrüstungsgüter. Und es gibt auch verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen, die Elektroautos kaufen. Und wenn ich mal damit anfange: Das ist ja auch schon ein Impuls, und der wird natürlich auch erstmal zu mehr Verschuldung beitragen. Natürlich ist es so, es wird keine neue Nachfrage durch diesen Investitionsbooster generiert – es wird Nachfrage vorgezogen auf einen früheren Zeitpunkt. Aber ich finde, das ist genau das, was wir jetzt brauchen. Unsere Wirtschaft ist im Augenblick immer noch fragil. Wir haben viel Unsicherheit, wir haben gerade darüber geredet. Und wir brauchen auch eine Überbrückung, bis die fiskalische Bazooka in der Wirtschaft ankommt. Und das wird nicht vor 2026 der Fall sein. Also ich denke, dieser Investitionsbooster, der leistet was, und das wird ein Erfolg werden. Das ist gut – auch unter anderem für die deutsche Autoindustrie, die in Deutschland auch bei den Elektroautos einen erheblichen Marktanteil besitzt. Das sind Elektroautos 50 bis 60 Prozent. Die chinesischen Elektroautos – die haben zwar sehr stark zugelegt, aber der Marktanteil, der liegt hier immer noch bei nur rund 5 Prozent. Also ich glaube, das wird ein Erfolg werden, schon in der zweiten Jahreshälfte. Und was mir auch so ein bisschen Mut gibt: Wenn man sich die Stimmung der deutschen Unternehmen anschaut, die hält sich wirklich wacker. Das IFO-Geschäftsklima ist jetzt sechsmal in Folge angestiegen. Das Niveau ist natürlich immer noch niedrig – aber das gibt auch ein bisschen Hoffnung, dass dieser Investitionsbooster genau zum richtigen Zeitpunkt kommt.
Titus Kroder:
Nochmal nachgehakt: Sind so hohe Staatsausgaben in so kurzer Zeit denn überhaupt realistisch? Haben die einen klaren ökonomischen Effekt deiner Meinung nach?
Andreas Rees:
Ganz ehrlich, meine Meinung – da würde ich sagen: Nein, das ist nicht realistisch, wenn ich mir das Gesamtpaket anschaue. Also die höheren Investitionen bereits in dem Jahr – du hast es gesagt – über 115 Milliarden Euro und auch bei den Verteidigungsausgaben.
Also ich glaube, was hier noch fehlt, aber was die Bundesregierung dann, denke ich, nach der Sommerpause – das ist ja schon gesagt worden – anstrebt und was wirklich notwendig ist: Wir brauchen einen zweiten Booster, und zwar nicht für etwas, sondern gegen etwas – gegen die Bürokratie. Weil wir haben Probleme, diese Projekte im Baubereich, im Energiebereich oder auch im Verteidigungsbereich wirklich umzusetzen innerhalb einer kurzen Zeit.
Wenn man sich mal anschaut, in der Vergangenheit: Wie lange hat es gedauert, um eine Straße zu bauen? Das ist jetzt wirklich eine grobe Bandbreite, aber im Durchschnitt – von der Planung bis zur Fertigstellung – hat es etwa 10 bis 20 Jahre gedauert. Und das ist natürlich etwas – dem aktuellen Umfeld, also die Zeit haben wir einfach nicht.
Und von daher brauchen wir Bürokratieabbau. Ich denke, das wird nach der Sommerpause kommen. Und da bietet sich ja auch ein Gesetz an, das vor drei Jahren verabschiedet worden ist – also das LNG-Gesetz, also dieses Notfallgesetz nach dem Beginn des Russland-Ukraine-Krieges.
Damals haben wir es dann geschafft, innerhalb von weniger als zwölf Monaten neue LNG-Terminals zu bauen, dank dieses Gesetzes. Normalerweise hätte das fünf bis sieben Jahre gedauert, und wir haben es geschafft, innerhalb von weniger als zwölf Monaten fertigzustellen.
Und ich glaube, wenn wir hier noch mehr Unterstützung kriegen gegen Bürokratie, dann kriegen wir auch die fiskalische Bazooka schneller auf die Straße. Es wird schneller in Verteidigung fließen, und dann werden wir auch schneller eine Stimulierung der deutschen Wirtschaft sehen.
Titus Kroder:
Mhm. Philipp, mit dem Öl haben wir heute den Podcast begonnen. Mit dem Öl und vor allem Rohstoffen generell wollen wir den Podcast schließen, weil es eben auch dazu Hörerfragen gibt. Was hältst du generell von Investitionen in Öl oder andere Rohstoffe derzeit? Ist das sinnvoll aus deiner Sicht?
Philipp Gisdakis:
Titus, da bin ich kein großer Fan von. Denn solange wir keine großen Investitionen – Öllager oder Kupferlager – in unserem Garten oder wo auch immer haben, wo wir das Öl lagern können, müssten wir eben an Warenterminbörsen aufsteigende oder fallende Rohstoffpreise setzen. Und bei den Warenterminbörsen gibt es so Finanzeffekte wie zum Beispiel den Contango-Effekt, der eben die Rendite niedrig machen lässt. Was ist der Contango-Effekt? Ich muss ja einen Warenterminkontrakt kaufen, wo die Erfüllung weit in der Zukunft liegt – drei, sechs, neun, zwölf Monate – und typischerweise sind die Preise für solche Verträge mit längeren Laufzeiten deutlich höher als die mit kürzeren Laufzeiten. Das heißt, ich kaufe einen teuren Vertrag mit einem hohen Ölpreis, der rollt dann – wie man das sagt – die Kurve runter, und ich muss den dann verkaufen, kurz bevor er fällig wird, weil ich kann ja keine x-tausend Barrels Öl physisch liefern. Und diesen Effekt, den habe ich bei fast allen Warenterminbörsen gegen mich – meistens – und das macht es sehr unattraktiv. Wenn wir auf Rohstoffe setzen wollen, dann tun wir das typischerweise über Rohstoffaktien – also Aktien von Unternehmen, die sich mit der Förderung von Rohstoffen oder mit dem Handel von Rohstoffen beschäftigen, also Minengesellschaften oder Rohstoffhandelsunternehmen. Das kann man taktisch einsetzen bei den zyklischen Phasen. Ein langfristiges Investment ist das aus meiner Sicht nicht. Denn schaut man sich mal die langfristige Aktienentwicklung an, dann gehören die genannten Branchen – Öl und Gas und Rohstoffe – in der Gesamtrendite über die vergangenen 20 Jahre zusammen, sowohl in den USA als auch in Europa, zu den Schlusslichtern. Das sind also sozusagen die mit am schwächsten performenden Branchen am Aktienmarkt. Das kann durchaus sein, dass zwischendrin mal gute Monate dabei sind, und dann kann man sowas einsetzen. Dann muss man aber halt die Entwicklung vom Timing her auch sehr gut investieren – und das ist dann aus meiner Sicht eher Handel als Investieren. Echtes Investment – ich kaufe da so eine Aktie und lasse die 10, 15 Jahre liegen – das funktioniert aus meiner Sicht auch mit den Rohstoffaktien nicht. Und wie gesagt, aus Warentermingeschäften – da lässt sich aus meiner Sicht heraus nur begrenzt Rendite erzielen.
Titus Kroder:
Zu guter Letzt noch kurz deine Meinung zum Gold. Ähnliche Beobachtungen wie beim Ölpreis – während des Zwölftagekriegs zwischen Iran und Israel passierte nicht viel mit dem sicheren Hafen und Fluchtmedium Gold. Ist da nun die Luft raus nach dem längeren steilen Anstieg des Goldpreises, den wir zuvor hatten – jetzt also besser rausgehen aus Gold?
Philipp Gisdakis:
Wir sind nach wie vor in Gold investiert – auch im Übergewicht. Wir haben das Übergewicht vor einem Monat oder so ein bisschen reduziert, haben also ein bisschen Gewinnmitnahme. Ich halte es nach wie vor für einen sinnvollen Portfoliobeitrag, insbesondere deswegen, weil es eben sehr spezifische Preiseigenschaften und Korrelationseigenschaften hat und ebenso ein ganz spezieller sicherer Hafen ist – also so ein Stoßdämpfer gegenüber Extrementwicklungen an den Märkten und in der globalen Wirtschaft. Aber man muss natürlich schon sagen, dass die Korrelationseigenschaften – dass der Goldpreis sich sehr, sehr stark entwickelt hat, und dass da vermutlich das weitere – wie man so schön sagt – Aufwärtspotenzial begrenzt ist, beziehungsweise begrenzt ist auf ein Szenario, das wir ja eigentlich nicht haben wollen. Denn der Großteil des Portfolios besteht ja aus Aktien und Anleihen, die eben in solchen Szenarien typischerweise nicht ganz so gut performen, die eben für den Goldpreis wichtig sind oder positiv sind. Deswegen gehört es für uns nach wie vor mit dazu. Wir sind übergewichtet relativ zu unserer Benchmark. Wir haben nicht wahnsinnig viel drinnen – so zwei bis fünf Prozent, je nach Risikoprofil ist damit dabei –, macht aber für uns schon Sinn, da auch weiter daran festzuhalten.
Titus Kroder:
Vielen Dank an unsere Experten, die das aktuell recht komplex gewordene Umfeld von Wirtschaft und Finanzmärkten – wie wir hoffen – logisch für Sie sortieren konnten. Noch selten hatte die Weltwirtschaft so viele lose Enden, die wir immer wieder aufgreifen und auf ihre Risiken hin analysieren müssen. Zum Beispiel auch im nächsten Markt-Briefing, das Sie ab dem 14. Juli herunterladen oder streamen können. Derweil bitte Ihre Wünsche und Hinweise an markt-briefing@unicredit.de richten. Wir reagieren gerne darauf. Von uns erstmal Tschüss – es verabschieden sich Andreas Rees, Philipp Gisdakis und Titus Kroder. Bis zum nächsten Mal.