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07.12.2019 Quartalszahlen/Bilanz
Süddeutsche Zeitung: Sparen ist kein Selbstzweck (PDF, 167.25 KB)
Süddeutsche Zeitung: Sparen ist kein Selbstzweck

Die Hypo-Vereinsbank streicht knapp 1300 Stellen, will aber weiter wachsen. Für Bankchef Michael Diederich ist das kein Widerspruch. Das Münchner Institut soll Taktgeber sein im Unicredit-Konzern. Ein Gespräch über den Wandel der Kunden, Verantwortung für die Mitarbeiter und Nachhaltigkeit als Geschäftsmodell

Zum Gespräch führt Michael Diederich erst einmal nicht in die Vorstandsetage der Hypo-Vereinsbank (HVB), sondern über die Straße. Gegenüber der Zentrale, in einem unscheinbaren Gebäude, soll die Bank umgekrempelt werden: Aus einem schmucklosen Großraum heraus sollen die HVB und der italienische Mutterkonzern Unicredit digital, flexibel und agil werden. Dass es künftig mehr Geld für die IT, aber weniger fürs Personal geben soll, ist seit ein paar Tagen klar. Was aber heißt das für eine Bank im Umbruch, wenn noch einmal mehr als jede zehnte Stelle wegfällt?

SZ: Herr Diederich, wir stehen gerade in einem Großraumbüro außerhalb der Bankzentrale - warum?

Michael Diederich: Das ist ein extrem wichtiger Maschinenraum für unsere Bank und ich bin hier wahnsinnig gern, bestimmt zweimal die Woche. Nicht um zu kontrollieren, sondern weil ich ein Gefühl dafür bekommen möchte, was hier passiert und welche Fortschritte wir hier machen.

Und was passiert hier?

Es herrscht viel kreative Kraft. Es arbeiten Kollegen aus allen Bereichen zusammen: Vertrieb, Technik, Rechtsabteilung. Es gibt keine Einschränkungen, es darf und soll auch mal gesponnen werden - jenseits des Joballtags. Deshalb ist dieser Raum auch nicht bei uns im HVB-Turm. Und deshalb will ich auch nicht, dass die Führungskräfte hier intervenieren. Wenn man alle alten Einschränkungen akzeptiert, dann ist das Ergebnis: Der Prozess ist der Prozess, den kann man nicht besser machen.

Und hier ist es anders, einfach so?

Ein Beispiel: Vorher hat es 80 Minuten gedauert, bei uns ein Privatkunden-Konto zu eröffnen. Das waren 90 Seiten Papier und viele, viele Unterschriften. Jetzt sind es noch 15 Minuten und genau eine digitale Unterschrift. So haben wir uns alle großen Prozesse der Bank vorgenommen, einen nach dem anderen: Konten, Kredite, Baufinanzierung und so weiter.

Wie lange dauert es, so einen Prozess neu zu entwickeln?

Mehrere Monate. Aber dann ist das nicht zu Ende. Das Team arbeitet an den Prozessen weiter. Die müssen schließlich permanent überprüft und optimiert werden. So wie Updates beim Smartphone. Für uns als Manager ist das eine Herausforderung: Es sind nicht mehr die Vorgesetzten, die entscheiden, sondern das Team. Das muss man als Führungskraft aushalten.

Das sollte möglich sein…

Das klingt vielleicht trivial, aber Sie müssen bereit sein, sich komplett zurückzunehmen und ein Produkt konsequent am Kundenbedarf auszurichten. Wir setzen so enorme Kräfte frei, Kräfte für Wachstum.

Was heißt das konkret?

Wir sind sehr effizient. Kollegen kommen aus ganz Europa und arbeiten hier sehr eng zusammen. Nach fünf bis sechs Monaten kommt dann ein Projekt das erste Mal beim Kunden an, danach beginnt das kontinuierliche Überarbeiten. Wir haben dieses Jahr auf sechs Themenfeldern insgesamt schon 14 Weiterentwicklungen ausgerollt. Das widerspricht natürlich ein bisschen dem alten deutschen Ingenieursgeist, etwas für die Ewigkeit zu entwickeln.

Und die Leute wechseln zurück ins Haupthaus, wenn das Projekt ausgearbeitet ist?

Ja. Und dabei nehmen sie wahnsinnig viel mit. Wir brauchen diesen Transfer, um die Bank von innen heraus zu verändern, zu modernisieren und schneller zu machen.

Das bedeutet aber auch: Sie brauchen weniger Mitarbeiter. Der Computer erledigt Aufgaben, die vorher ein Banker übernommen hat. Das ist ja auch ein Ziel des gerade vorgestellten Strategieplans für Unicredit: Kosten sparen, Personal abbauen.

Zu allererst geht es um den Kunden. Der nutzt heute schon eine Mischung aus online, mobile und persönlichem Kontakt. Das nehmen wir ernst und haben uns entsprechend aufgestellt. Wir stellen uns immer wieder die Frage: Was brauchen unsere Kunden und wie können wir mit ihnen nachhaltig wachsen? Wir haben ja eine Verantwortung für die Kollegen, für deren Familien. Also müssen wir reagieren. Sparen ist kein Selbstzweck.

Sind alle Ihre Kunden schon so digital?

Viele. Über 90 Prozent aller Transaktionen werden heute schon online erledigt. Mehr als die Hälfte unserer Privat- und Firmenkunden nutzt Online-Angebote, nicht ausschließlich, aber auch. Wir rechnen damit, dass bis 2023 die Hälfte unserer Kunden ihre Bankgeschäfte mobil erledigt. Deshalb werden wir unsere Investitionen in IT und Digitalisierung gruppenweit auch um 30 Prozent auf 900 Millionen Euro jährlich steigern.

Eine Studie hat zuletzt vorhergesagt, dass in wenigen Jahren die Hälfte aller Bankfilialen schließen wird. Die HVB hat ihr Netz schon deutlich ausgedünnt. Werden Sie sich weiter aus der Fläche zurückziehen?

Nein. Wie gesagt, die Mischung macht’s: Digitale Kanäle werden auch künftig Filialen ergänzen, sie aber nicht vollständig ersetzen. Wir sind da, wo unsere Kunden sind. Und alles soll flexibel und nahtlos ineinandergreifen.

Aber gespart werden soll auch. Insgesamt fallen 8000 Stellen weg, davon knapp 1300 bei der HVB.

Richtig. Und das gestalten wir ausschließlich sozial verträglich, also beispielsweise über natürliche Fluktuation oder Altersteilzeit. Wir haben aktuell 12200 Mitarbeiter in Deutschland. Bis Ende 2030 garantieren wir 10918 Vollzeitstellen in der HVB und unseren Töchtern. Das haben wir gerade mit dem Betriebsrat vereinbart.

1300 Stellen weniger - haben Sie deshalb auch Ihren Büro-Campus „Tucherpark“ am Englischen Garten verkauft?

Nein, das hat ganz andere Gründe: Erstens genügen die Arbeitsplätze dort nicht mehr unseren Ansprüchen, gerade wenn wir über agiles, flexibles Arbeiten sprechen. Zweitens bleiben wir dort bis auf Weiteres Mieter. Der Verkauf gibt uns die Möglichkeit, in einen neuen, wirtschaftlichen, flexiblen und nachhaltigen Bürostandort in München zu investieren.

Unicredit-Chef Jean Pierre Mustier will in den nächsten Jahren deutlich mehr an die Aktionäre zahlen: insgesamt acht Milliarden Euro bis Ende 2023. Sehen Sie keine Gefahr für die Motivation Ihrer Mitarbeiter, wenn einerseits gespart und andererseits so viel Geld ausgeschüttet wird?

Im Gegenteil. Ich bin stolz, wie motiviert das Team ist. Alle, die hier arbeiten, kennen das Geschäft und können die Lage analysieren. Denen bräuchte ich gar nicht erzählen, dass wir uns jetzt mal ausruhen können. „Transform 2019“, unser letztes Strategieprogramm, war für alle hart. Es hat aber auch einen ganz neuen Stolz in der Bank geschaffen, weil wir unsere Ziele erreicht haben. Das schweißt zusammen, das Team funktioniert. Nur deshalb können wir solche Veränderungen wie im Moment umsetzen und wachsen. Wandel kann man nicht verordnen.

Apropos Wachstum. Vor ein paar Monaten hatte Unicredit noch Interesse an der Commerzbank signalisiert. Jetzt sagt Mustier, es wird keine größeren Zukäufe oder Fusionen geben. Woher der Sinneswandel?

Wir haben immer gesagt, dass wir organisch wachsen und haben die Gerüchte nie kommentiert.

Sie haben aber sehr laut geschwiegen.

Wir wachsen in Deutschland aus eigener Kraft. Wir haben einen klaren Plan, ein starkes Fundament, die Investitionskraft, ein erstklassiges Team und Kunden, die uns vertrauen.

Woher soll das Wachstum kommen?

Alle Unternehmen arbeiten gerade daran, digitaler, effizienter und nachhaltiger zu werden nicht nur wir. Gerade im Umweltbereich kommen neue Vorgaben aus Brüssel, dann müssen komplette Liefer- und Produktionsketten umgekrempelt werden. Nachhaltige Finanzierung und Geldanlage werden ein riesiger Markt in Europa. Gerade haben wir den Chemiekonzern Lanxess bei einem nachhaltigen Konsortialkredit über eine Milliarde Euro begleitet. Unternehmen werden bei Themen wie Nachhaltigkeit und Digitalisierung gewaltige Mengen an Kapital und viel Beratung brauchen.

Sie gehen weg von der Finanzierung und werden Unternehmensberater?

So weit geht es nicht. Aber Unternehmen brauchen bei uns, ihrer ersten Anlaufstelle, immer auch jemanden, der beurteilen kann, was Nachhaltigkeit für die Bilanz bedeutet.

Ein großes Geschäft ist das aber noch nicht.

Bisher ist das noch ein eher kleines Pflänzchen. Aber es wächst sehr schnell. Und viele Unternehmer wissen noch gar nicht, was sie da treffen wird. Die neue EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen sagt, dass Europa bis 2050 CO2-neutral sein soll. Das ist nicht mehr so lange hin.

Nachhaltigkeit scheint Sie auch persönlich zu bewegen. Woher kommt das?

Ich unterstütze seit Jahren eine Kinderklinik hier in München. Da bekommt man viel mit. Wir tragen alle Verantwortung. Als Manager, als Unternehmen und als Privatperson. Auch als Bank engagieren wir uns jenseits der rein kommerziellen Dimension. Wir fördern und finanzieren beispielsweise Unternehmen, die einen sozialen Nutzen stiften, mit Krediten, an denen wir nichts verdienen wollen.

Und was passiert in der Bank selbst?

Wir decken unseren kompletten Strombedarf aus erneuerbaren Energien. Wir haben unsere Treibhausgasemission seit 2008 um mehr als die Hälfte reduziert, bis 2030 werden es 80 Prozent sein. Neben Elektroautos bieten wir unseren Mitarbeitern auch Jobräder. Und wir versuchen, wo es möglich ist, mit dem Zug zu reisen - oder Termine gleich per Videokonferenz zu machen. Außerdem arbeiten wir gerade daran, den CO2-Fußabdruck unseres gesamten Kreditportfolios zu ermitteln.

Die Zahl wird nicht sehr aussagekräftig.

Nein, aber die späteren Vergleichszahlen schon. Es geht darum, Schritt für Schritt nachhaltiger zu werden.

Pressekontakt:
Nicholas Wenzel