Im Fokus

US-Präsidentschaftswahl: Neuauflage des Duells von 2020 wirft ihre Schatten voraus

In einem Jahr, in dem auf der ganzen Welt über vier Milliarden Menschen in mehr als 70 Staaten an die Wahlurnen gerufen werden (siehe auch Monthly Outlook vom Februar), wirft die am 5. November anstehende US-Präsidentschaftswahl ihre Schatten voraus und gerät zunehmend in den Fokus der globalen Finanzmärkte. Daher wollen auch wir die richtungsweisende Wahl zu diesem frühen Zeitpunkt des Jahres in den Blick nehmen und mögliche Implikationen für die globalen Finanzmärkte und die Investmentstrategie diskutieren.

ERNEUTER SHOWDOWN ZWISCHEN JOE BIDEN UND DONALD TRUMP ZEICHNET SICH AB

Vor vier Jahren sicherte sich Joe Biden den Sieg mit 306 zu 232 Stimmen im Wahlmännergremium (Electoral College) und einem Stimmverhältnis von 51,3 % zu 46,9 %. In sieben Swing States4 war Bidens Vorsprung allerdings nur hauchdünn. Zwar ist das das republikanische Vorwahlrennen noch nicht offiziell beendet und die offiziellen Nominierungsparteitage der Republikaner und Demokraten, auf denen jeder Partei offiziell ihr Präsidentschaftskandidat vorgestellt wird, finden erst im Juli bzw. August statt. Die letzte parteiinterne Konkurrentin des ehemaligen Präsidenten Donald Trump, Nikki Haley, hat sich allerdings aus dem Rennen um die republikanische Präsidentschaftskandidatur zurückgezogen, nachdem sie bei den Vorwahlen am “Super Tuesday” Anfang März in 14 von 15 Bundesstaaten teilweise deutlich hinter Trump lag. Immer mehr zeichnet sich damit ein erneuter Showdown zwischen dem amtierenden Präsidenten und seinem direkten Amtsvorgänger ab.

Glaubt man den Umfragen, ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Kandidaten zu erwarten. Die meisten sehen Trump aktuell leicht vorne (siehe Grafik 1). Jedoch erweisen sich solche Frühphasen-Umfragen häufig als begrenzt aussagekräftig. Zudem spiegeln nationale Meinungsumfragen zwar das allgemeine Stimmungsbild wider. Die Mehrheit der Wählerstimmen garantiert angesichts des US-amerikanische Wahlsystems5 jedoch keinesfalls den Wahlsieg. Auch wenn die Amerikaner landesweit an die Urnen gehen, dürften erneut nur eine Handvoll Staaten den Ausschlag über Sieg und Niederlage geben.

Bis zum Wahltag am 5. November kann allerdings noch viel passieren. Beide Kandidaturen sind von erheblichen Unsicherheiten geprägt. Bei Biden wird nach einem Bericht des Sonderberaters des US-Justizministeriums6 intensiv darüber debattiert, ob er angesichts seines fortgeschrittenen Alters für eine weitere Amtszeit geeignet sei. Entsprechend verharren seine Zustimmungswerte auf einem für einen amtierenden Präsidenten bedenklichen Niveau in einem Wahljahr. Trumps Chancen wiederum könnten durch seine zahlreichen Prozesse Schaden nehmen. Allerdings sprach der Supreme Court dem Bundesstaat Colorado im Rechtsstreit um die Teilnahme Trumps an den Vorwahlen der US-Republikaner Anfang März einstimmig das Recht ab, Trump dort von den Vorwahlen ausschließen zu können. Eine solche Entscheidung stehe nur dem Kongress zu, erklärten sie. Nichtsdestotrotz ist auch die öffentliche Wahrnehmung von Trump negativ.

„IT'S THE ECONOMY, STUPID“ – ABER NICHT NUR

Es ist das erste Mal seit 1892, dass ein unterlegener Amtsinhaber den amtierenden Präsidenten herausfordert, der ihn vier Jahre zuvor geschlagen hat. Vieles spricht dafür, dass die wirtschaftliche Lage des Landes für den Wahlausgang eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Rolle spielt. Und die Wirtschaftsindikatoren in den USA stellen sich in weiten Teilen positiv dar: Die US-Wirtschaft hat sich erstaunlich schnell von der Corona-Pandemie erholt. Trotz restriktiver Geldpolitik bleibt sie beharrlich auf Wachstumskurs und die Arbeitslosenquote verharrt auf einem Rekordtief. Wieder einmal beweist die US-Wirtschaft damit ihre Widerstandsfähigkeit und Flexibilität – vor allem im Vergleich zu Europa (siehe auch Teil Wirtschaft und Märkte). Dennoch ist die gefühlte wirtschaftliche Unsicherheit unter vielen amerikanischen Wähler offenbar groß. Biden scheint es (noch) nicht gelungen zu sein, seinen Landsleuten zu vermitteln, dass sich ihre Alltagssituation verbessert (hat). Der Aufschwung scheint angesichts einer nur langsam abkühlenden Inflation am unteren Rand der Gesellschaft kaum anzukommen. Darauf, dies zu verändern, werden die Demokraten im Wahlkampf einen Schwerpunkt legen.

Sie dürften darüber hinaus versuchen, die Abtreibungsfrage zum zentralen Thema zu machen, nachdem der US Surpreme Court, der Oberste Gerichtshof der USA, mit Hilfe dreier von Trump ernannter Richter einen 50 Jahre alten Präzedenzfall verworfen hat, der das Recht auf Abtreibung verfassungsrechtlich schützt. Die Republikaner hingegen dürften dasselbe mit der Einwanderungsproblematik vorhaben, die für einen Großteil von Trumps Basis sehr wichtig ist. Auch andere Themen, etwa die Kriminalitätsrate in den USA, der Klimawandel sowie die Außenpolitik dürften eine Rolle spielen. Mit Blick auf letztere könnte der andauernde Gaza-Krieg für Biden problematisch werden, da die Unterstützung der US-Regierung für Israel bei einem nicht kleinen Anteil junger, traditionell eher zu den Demokraten tendierenden Wähler, deren Wahlbeteiligung einen maßgeblichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben könnte, skeptisch gesehen wird.

AUCH DER KONGRESS WIRD NEU BESETZT

Während das Rennen um das Weiße Haus alles überstrahlt, spielt die Kontrolle des Kongresses7 eine nicht minderbedeutende Rolle bei der Gestaltung der wirtschaftspolitischen Landschaft in den USA. Derzeit halten die Republikaner im Repräsentantenhaus eine knappe Mehrheit von 219 zu 213 Stimmen. Wahlumfragen sehen derzeit einen leichten Vorsprung für die Republikaner. Die Demokraten müssen aufgrund ihrer knappen Mehrheit jedoch nur wenige Sitze gewinnen, um die Kontrolle im Repräsentantenhaus zurückzugewinnen. Eine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Repräsentantenhaus erscheint also möglich. Blickt man auf die Historie, fällt allerdings auf, dass die Mehrheitskontrolle im Repräsentantenhaus in einem Präsidentschaftswahljahr seit dem Jahr 1952 nicht mehr gewechselt hat.

Im Senat wiederum, der aktuell mit 49 Republikanern, 48 Demokraten und 3 mit den Demokraten koalierenden Unabhängigen besetzt ist, haben die Demokraten derzeit eine knappe Mehrheit. 34 Senatssitze stehen dort zur Wahl, von denen 23 von den Demokraten (einschließlich der drei Unabhängigen) und 11 von den Republikanern gehalten werden. Entsprechend haben die Demokraten mehr Sitze zu verlieren als die Republikaner. Es erscheint also nicht ausgeschlossen, dass die Republikaner die für die Mehrheit erforderlichen 51 Sitze erobern könnten.

MÖGLICHE IMPLIKATIONEN FÜR DIE GOBALEN FINANZMÄRKE

Während wir Prognosen über den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl den politischen Experten überlassen, ist unstrittig, dass dieser – insbesondere dann, wenn Biden den Staffelstab wieder an Trump wird übergeben müssen – in vielerlei Hinsicht und Dimension maßgebliche Auswirkungen auf die Regierungspolitik und die Gesetzgebung der USA haben dürfte. Weniger klar ist, mit welchen Implikationen für die globalen Finanzmärkte zu rechnen ist. Glaubt man der Historie, kann die US-Präsidentschaftswahl kurzfristig durchaus größere Unruhe und Volatilität verursachen: Der VIX-Index8 steigt vor den US-Wahlen tendenziell an (siehe Chart 2). Dieser Effekt lässt sich wesentlich mit der erhöhten politischen Unsicherheit erklären: Anleger und Investoren versuchen sich auf eine mögliche Neuausrichtung des Regierungshandelns einzustellen.

Gleichzeitig zeigten sich die Finanzmärkte in der Vergangenheit in der mittel- bis langfristigen Perspektive jedoch weitgehend unbeeindruckt von den US-Präsidentschaftswahlen. Wissenschaftliche Untersuchungen kommen in der Regel zu dem Schluss, dass es keine statistische Evidenz für einen bedeutenden langfristigen Einfluss der Wahlergebnisse auf das Renditepotenzial des breiten Aktienmarkts gibt. Trotz der großen Aufmerksamkeit, die der Wahl bei Anlegern und Investoren zu Teil wird, und der Beobachtung, dass politische Ereignisse gelegentlich für kurzfristige Turbulenzen an den Finanzmärkten sorgen können, dürften mikro- und makroökonomische sowie geldpolitische Fundamentaldaten in den USA, unter anderem Unternehmensgewinne, Inflationstrends, Zinssätze und die wirtschaftliche Entwicklung, eine größere Rolle für die mittel- bis langfristige Performance der Märkte und die Renditen von Aktien, Anleihen und anderen Anlagen spielen. Die Anlagestrategie an der Hoffnung auszurichten, kurzfristig von einem potenziellen Umschwung an den Märkten im Kontext der US-Wahl zu profitieren, erscheint jedenfalls wenig vielversprechend.

Megatrends wie der Kampf gegen den Klimawandel, die Digitalisierung und die Demografie-Problematik in vielen westlichen Industrienationen dürften ihre Entwicklung unbeeindruckt von den Wahlergebnissen fortsetzen. Richtig ist aber auch, dass der Ausgang der Wahl für eine Reihe von Sektoren eine größere Rolle als für andere spielen dürfte – etwa für solche, die stark reguliert sind bzw. subventioniert werden. Ein Beispiel hierfür sind die erneuerbaren Energien: Während die Biden-Regierung in den USA eine Ära als Klimavorreiter eingeleitet hat, könnte ein wiedergewählter US-Präsident Trump die Klimasubventionen zugunsten einer verstärkten Ölförderung kürzen.

Wir sehen Anleger und Investoren grundsätzlich gut beraten, sich auch in diesem richtungsweisenden Wahljahr nicht von kurzfristigen Verwerfungen beunruhigen zu lassen und an ihren mittel- bis langfristigen Planungen festzuhalten. Eine umfassende Analyse der Marktfundamentaldaten halten wir in diesem Kontext für unabdingbar, um fundierte und langfristig erfolgversprechende Entscheidungen treffen zu können. Dabei bleibt eine angemessene Diversifikation des Portfolios ein zentraler Baustein unserer Anlagestrategie.

4 Die meisten amerikanischen Bundesstaaten sind fest in demokratischer oder republikanischer Hand. Zu den sogenannten “Swing States”, die in das eine oder andere Lager kippen könnten, zählen Wisconsin, Pennsylvania und
Michigan im sogenannten Rust Belt sowie Arizona und Georgia, die Biden 2020 für die Demokraten gewinnen konnte. Nevada könnte ebenfalls umkämpft sein, hat aber aufgrund seiner geringeren Bevölkerungszahl eine geringere Bedeutung.

5 Der US-Präsident wird nicht direkt vom Volk gewählt, sondern indirekt durch das Wahlmännergremium, d.h. ein Kandidat kann Präsident werden, obwohl er oder sie nicht die Mehrheit der Wählerstimmen hat. Entscheidend ist, wer die Mehrheit von 270 Wahlmänner- und Wahlfrauenstimmen auf sich vereint.

6 Der Bericht enthält eine Reihe von Aussagen, die für Biden im Wahlkampf zum Problem werden könnten. Es gebe Anzeichen dafür, dass die unsachgemäße Aufbewahrung vertraulicher Dokumente in Privat- und Geschäftsräumen Bidens “aus Versehen” passiert sei, heißt es in dem Bericht. Biden wirke wie ein “wohlmeinender, älterer Mann mit einem schlechten Gedächtnis”.

7 Alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus werden alle zwei Jahre gewählt, und die Sicherung von 218 Sitzen ist entscheidend, um die Mehrheit zu behalten. Drei Sitze sind aktuell unbesetzt.

8 Von Händlern selbst häufig als “Angstmesser” bezeichnet, reflektiert der VIX-Index die Prognosen bezüglich der Aktienmarktvolatilität für die kommenden 30 Tage. Die antizipierte Schwankungsbreite des Marktes ist konzeptuell mit dem Gesamtniveau der wahrgenommenen Unsicherheit verbunden, das üblicherweise bei Ereignissen mit erhöhtem Risikopotenzial ansteigt.